Freitag, 18. Mai 2007

me & the gaybar: wer hat angst vor virginia woolf?

Triefendnass steh ich vor verschlossener Tür. Der Chef ist wieder mal zu spät. Eine Flyerverteilerin steuert auf mich zu, zieht ein Poster unter ihrem Poncho hervor. „Studentin“ denke ich, wer sich schon in jungen Jahren so schrecklich alternativ kleidet, kann nur was Geisteswissenschaftliches studieren, Psychologie wahrscheinlich. Sie ist mir auf Anhieb unsympatisch, eine stereotypische Reaktion.

„Darf ich bei euch im Lokal Plakate aufhängen?“ fragt sie. Ich sag ihr, sie soll halt eines hier lassen, ich könne ihr aber für nichts garantieren. Sie beschließt zu warten und mustert mich scheu.

„Der Chef, ist der auch von der anderen Seite?“ erkundigt sie sich zögerlich. Ich bin verwirrt. Zwar ist die städtische Trinkmeile durch einen Fluß geteilt, aber wie kommt sie darauf, dass er vom anderen Ufer sei? Das ergäbe keinen Sinn. „Na, bei euch sind doch alle Kellner schwul, oder?“ Achso, DAS andere Ufer. „Nein, nicht alle.“ antworte ich und lache, weil ich manchmal so schwer von Begriff bin. Sie wirkt nervös und zündet sich eine Zigarette an.

„Kann ich Feuer haben?“ erkundige ich mich, denn meines liegt irgendwo in den Tiefen meiner aufgeweichten Handtasche. Sie reicht es mir, dabei streife ich versehentlich ihre Hand. Sie fühlt sich sichtlich unwohl. „Ist ja auch ein blöder Job“ denk ich „den ganzen Tag herumlaufen um Flugblätter an fremde Menschen zu verteilen. Mir wär das auch unangenehm.“

Ich lächle sie an, zur Aufmunterung. Panik flackert in ihrem Blick. Sie sagt, sie würde doch nicht warten, sie müsse weiter, drückt mir ein Plakat in die Hand und verschwindet mit eiligen Schritten, lässt mich irritiert zurück.

Es dauert eine ganze Weile bis ich es begreife: Sie dachte, ich würde mit ihr flirten.

Mich verwundert immer wieder, welches Entsetzen es in Menschen hervorrufen kann, wenn jemand nicht ihrer Vorstellung von Normalität entspricht. Mit welcher Abscheu oder Hysterie auf Fremdes reagiert wird.
Ich selbst bin ja keineswegs frei von Vorurteilen und besitze eine ganze Menge Schubladen und Töpfe in die ich meine Mitmenschen werfe. Doch die Neugierde auf Unbekanntes ist meist stärker, als der Drang, alles was mir vermutlich unlieb ist, aus meiner Welt zu sperren oder davor wegzulaufen.

Es war naheliegend, dass eine Aussenstehende mich, als Kellnerin in einer Schwulenbar, für lesbisch hält. Davon geht ohnehin fast jeder aus. Doch besagte junge Frau (die ich umgekehrt sogleich als Ökotussi mit schweren emotionalen Problemen abstempelte) fürchtete sich vor mir. Nicht etwa, weil ich ein kolossales, grobschlächtiges Mannsweib bin, dass Bierflaschen mit den Zähnen öffnet, sich ständig prügelt und ganz allgemein eine unangenehme Zeitgenossin ist. Nein, sie hatte nur Angst vor meinen womöglichen gleichgeschlechtlichen Vorlieben.

Offen gestanden hatte auch ich anfangs einige Schwierigkeiten damit, von Frauen angebaggert zu werden, denn obwohl ich mich mit Lesben meist besser verstehe, als mit Hetero-Frauen und ich Homosexualität für eine normale biologische Spielart halte, war es ungewohnt, für das eigene Geschlecht sexuell interessant zu sein. Ich hatte diesen Aspekt in meinen Freundschaften stets ausgeblendet.
Meine einzige Befürchtung in dem Zusammenhang ist, dass sich eine Frau in mich verlieben könnte, denn dieses Gefühl könnte ich ihr nicht erwidern, aber so etwas wie Angst habe ich nie empfunden.

Die Furcht vor lesbischen Frauen ist allerdings nicht so tief verwurzelt, wie die Angst vieler Männer vor dem Schwulsein. Man unterstellt Frauen gerne, sie hätten von Natur aus einen Hang zum eigenen Geschlecht. Weibliche Homosexualität wird oft romantisch verklärt gesehen, auf die zarten Küsse zweier Mädchen reduziert, woran sich kaum jemand stört, eher ist das Gegenteil der Fall, ist diese Vorstellung doch fixer Bestandteil vieler männlicher Phantasien. Schwule Homosexualität dagegen wird als abnormal und zutiefst unmännlich abgelehnt. Die Ablehnung schlägt oft genug in Aggression und Hass gegen Schwule über.

(Mein persönlicher Hang zu einem homosexuellen Umfeld kommt sicher auch daher, dass hier die Rollen wechseln, die Grenzen verschwimmen. Ich wollte selbst nie einer bestimmten Rolle entsprechen, Kleider tragen, nur weil ich den dazugehörenden Busen besitze, meine Haare lang wachsen lassen, weil sich das für eine Frau gehört. Manchmal stehe ich im Leben meinen Mann, bin dann wiederum femme fatale oder ein kleines, hilfloses Mädchen. Ich habe weibliche Charakterzüge und männliche, ich mag beide Seiten und will mich nicht für eine entscheiden müssen.)

Ich treffe in der Arbeit täglich auf burschikose Frauen oder sehr weibliche, auf „richtige“ Männer und mädchenhafte. Mir begegnen dicke, dünne, kluge, dumme, schöne, hässliche, junge, alte, interessante, langweilige, fröhliche, traurige, verliebte, alleinstehende, treue, promiskuitive, reiche, arme, normale, verrückte, kranke, gesunde, nüchterne, betrunkene, lesbische oder schwule Menschen. Sie haben die selben Träume, Wünsche und Probleme wie Frauen die Männer und Männer die Frauen lieben.

Ich bemühe mich grundsätzlich vieles nachvollziehen zu können, doch die Angst vor Homosexuellen werd ich nie verstehen.

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Au-lait - 18. Mai, 12:57

Ich kann verstehen, dass es die Angst gibt, ohne dass ich selbst sie teile. Ich fürchte, es ist die Angst vor dem Unbekannten, wie so oft. Und die Empfänglichkeit für spinnerte Spukgeschichten aus dieser Szene, die zwar durchaus eigenwillig und anders ist und dadurch befremdet, die aber in keiner Weise irgendwem je wirklich gefährlich würde, glaube ich. Vielleicht ist es gar die Angst davor, zu erkennen, dass alles viel harmloser ist, als man es sich vorgestellt hat. Zwei meiner besten Freunde sind schwul, und ich rede mit ihnen offen über Liebe, Sex und Zärtlichkeiten ohne dass jemals in mir eine Wunschvorstellung aufgekeimt ist, einen Mann zu küssen oder eine behaarte Brust mit Küssen zu benetzen. Ich war auf Schwulenparties und hatte meinen Spaß, bin auf angenehme Weise Teil der Feier geworden ohne gleich angebaggert zu werden, wie ein anderer Freund von mir weissagte. Manchmal ist mir das Tuffige und Fluffige, die Kaffeekannengesten, das Geschniegelt-Schminketrunkene auch zu regenbogenbunt, manchmal geht mir auch das Schnuckimausi-Etepetete-Gedöngel einiger Schwuler auf den Geist. Aber das dann nicht, weil sie schwul sind, sondern weil ich allzu affektiertem Auftreten bei egal welcher sexuellen Orientierung nicht allzu viel anfangen kann, zumal wenn es aufgesetzt und künstlich wirkt. Und auch hier ist ja wiederum so, dass ich zwar einige sehr extrovertierte (teils auch sehr angenehm spinnerte) Schwule kenne und dass viele doch in erster Linie unscheinbar sind, gerade vielleicht weil es immer noch enorm viel Mut erfordert sich zu outen, weil man gegen gesellschaftlichen Argwohn kämpfen muss, weil man sich grundloser Verachtung und Kopfschüttel ausgesetzt sieht, weil man ja "nicht normal" ist. Du wirst es noch um Ecken besser beurteilen können.

Ich kann die Gefühle von Homosexuellen nur in dem Sinne nicht nachvollziehen, als ich mich von meinem Geschlecht nicht angezogen fühle. Weil ich das Gefühl nicht kenne, in einen Mann verliebt zu sein, Aber das macht ja nichts. Denn gute Gründe, sich in einen Mann zu verlieben gibt es ja genug. Mir ist reichlich egal, in welche anderen Menschen die Menschen, die ich mag, sich verlieben. Mir ist wichtig, was ich mit ihnen teilen kann, welche originellen Ideen ich mit ihnen gemeinsam aushecken kann, welche Interessen wir teilen und wie wir gegenseitig voneinander profitieren und uns neue interessante Anregungen geben können. Es gibt viele Klischees und einige davon habe ich in voller Breitseite auch schon erlebt, aber der genauere Blick entkräftigt doch viele, und bislang hatte ich weder vor Homosexuellen noch Grund dazu. :)

dieJulia - 18. Mai, 14:19

Ich glaube, die meisten Menschen haben nur Angst vor Homosexuellen, weil sie keinen einzigen kennengelernt haben und deshalb immer nur billige Klischees vor Augen haben.

Nichts anderes als eine Form der Xenophobie, möcht ich meinen. Leider viel zu weit verbreitet.

MoniqueChantalHuber - 18. Mai, 15:35

homophobie und xenophobie entspringen sicher einer ähnlichen quelle. die angst vor homosexualität allerdings beinhaltet auch die befürchtung, in seiner eigenen identität angegriffen zu werden. lesben werden weniger als gefahr gesehen, denn schwule.
wenn die angst nur daher käme, etwas nicht zu kennen, dann dürften eltern etwa keine schwierigkeiten haben, ein homosexuelles kind zu haben, auch wenn ihnen die vorlieben fremd sind.
lesbische töchter werden noch eher akzeptiert, als schwule söhne. wenn ich nun zum beispiel wirklich auf frauen stehen würde, hätte mein ansich weltoffener vater kein problem damit, seine aggression und gehässigkeit bezieht sich nur auf männer. wäre mein bruder schwul, wär das wohl eine tragödie. es käme einem versagen gleich, ein homosexuelles kind großgezogen zu haben. nach dem prinzip: bin ich nicht manns genug, meinem sohn männliche werte zu vermitteln, damit was wird aus ihm?! (selbst wenn die erziehung wahrscheinlich wenig bis überhaupt nichts damit zu tun hat welche geschlechtliche präferenz ein kind später hat) nun, mein bruder ist "ganz normal" geworden und hat die selben vorurteile wie mein vater, meidet schwule so gut es geht.

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