Donnerstag, 12. November 2009

i´m a saftschubse, baby - part I

Längst schon wollt ich die Memoiren einer Zugstewardess zu Papier bringen, schließlich tingelte ich rund eineinhalb Jahre im Rückwärtsgang einen, bei Vollbeladung 150 Kilo schweren, Flugzeugtrolley ziehend, in fahrenden Zügen durch die Lande, um Instantkaffee aus Pappbechern und vakuumverpackte Sandwiches feilzubieten.

Wie ich an diesen Job geraten bin?
Nun, ich hatte schon früh eine Vorliebe für Zugreisen entwickelt, meist direkt gekoppelt an den Umstand, dass anderweitig ein, sich auch ins wahrhaft Private erstreckende, Sozialleben kaum aufrecht zu erhalten gewesen wäre. Die Vorstellung, nicht nur als Sehnende oder Abschiednehmende zu reisen, erschein mir traumabewältigend und romantisch zugleich. On the road again, aber diesmal anders, freier. Also hab ich mich einfach beworben.

Das Vorstellungsgespräch fand im Marmorsaal des festspielstädtischen Bahnhofes statt. Ein trister und hässlicher Bahnhof ist das und der denkmalgeschützte Kaffeehausbereich war nicht minder abstoßend und traurig. Vor meinem Erinnerungsauge ist dieser Raum immer teergelb und kühl und abweisend. Das Klappern von billigem Besteck und das schlurfende Geräusch von ausgetretenen, schwarzen Plastikschuhen, in denen Kellnerfüße stecken, die den Raum nur missmutig durchschreiten, meine ich ebenfalls immerfort zu hören. Nein, ich mochte diesen Ort nicht.

Eine kettenrauchende Frau mit dieser Art von professionell freundlichem Gesichtsausdruck, der Unbarmherzigkeit bedeutet, und ein kahlköpfiger, dicker Mann mit ungesunder Hautfarbe baten mich zu sich an den Tisch.

Mit der Dame hatte ich am Tag zuvor telefoniert und ich sah an ihrem Blick, dass ich ihre Erwartungen bei Weitem untertraf. Eine resolute Frau Mitte dreissig hatte sie sich vorgestellt, der Sprache nach, nicht ein Mädchen mit schwarzen Dreadlocks, die von roten Gummiringen zusammengehalten wurden, dessen Unterlippe von drei Piercings durchbohrt war und das eine karierte Hose trug, die einzig von stilsicherer Geschmacklosigkeit zeugte.

Das "Sie sind überqualifiziert" ging ihr nur mühsam von den Lippen, als sie meine Bewerbungsunterlagen durchblätterte. Der Mann dagegen musterte mich und die Karos an meinen punkbestiefelten Beinen und ich meine, ein wenig väterliches Mitleid gespürt zu haben.

Er hat es mir dann Monate später erzählt, dass sie gedacht haben, was ich mir damals dachte und dass sie niemals davon ausgingen, dass eine wie ich am nächsten Morgen pünktlich um 5 Uhr Früh den Dienst antritt. Doch die Personalknappheit lies ihnen keine andere Wahl und so wurde ich zur Nummer 1117.

stereotyp

Wohlwissend um meinen Hang zur verbalen Explosion im Kontakt mit Arschlöchern aller Art und weil ich mich nach innerer Einkehr und Kontemplation sehnte, war es nur naheliegend, selbst im nächtens kaum besetzten U-Bahnabteil den entlegensten Ecksitz einzunehmen, größtmögliche Distanz zum mitfahrenden Volk, um grimmig auf die neonerleuchtete Stadt hinaus zu blicken, in der Absicht, endlich ein paar ruhestiftende Gedanken fassen zu können.

Für zwei Stationen war mir dieser Traum von der weltlichen Entrückung gewährt, denn selbst die vier oder fünf Mitpassagiere schienen froh zu sein über die wundersame Wortlosigkeit inmitten der Großstadt. Das Dröhnen der Maschine ein hypnotischer Sog, Entspannungsmusik in meinen Ohren, denn endlich, endlich kein Geplapper, kein belangloses Geplauder, kein Geschrei, Gekeiffe aus Menschenmund.

Auftritt junger Mann in extracoolem GangsterOutfit, die Kappe schräg, die Hose weit.

Setzt sich neben mich, die GangsterSneakers lässig auf die abschließende Sitzreihe des Waggons drapiert.

Ich bin umzingelt.

Er trägt ein portables Telefon bei sich, gewillt es zu benutzen.

Er wählt, er horcht. Mit einem Ruck, der alle Anwesenden erfasst, durchbricht er die Stille, er brüllt:

Yo man... yo brother... won`t you come and highlight me at the club? Yo...Yeah...Yo...

Sein reduzierter Wortschatz erheitert mich, ich bin geneigt, über die Ruhestörung hinwegzusehen, auch wenn mir der Schädel brummt von dem Geplärre.

Don´t buy it at the club. They just sell you rubbish there. I´ll bring you some real shit!...

Das Gespräch in Schreistärke 8 nimmt eine ungewollte, klischeehafte Wendung. Ich hoffe inständig auf ein Missverständnis. Mein Flehen bleibt unerhört.

Be patient... Wait ´till tomorrow. I´ll sell you some real motherfucking stuff. Some real good shit.

Und wenn ein Trottel ein Trottel ist, dann sag ich das auch.
Und wenn mir einer ganz massiv auf die Nerven geht, dann platzt mir irgendwann der Kragen.

Vorerst noch in der höflichen, diskreten Variante, der anerzogenen Indirektheit wegen.
Nein, ich sage nicht "Gschissener Dealer, ihr Schwarzen habt es alle schon schwer genug hier, da musst du nicht noch öffentlich sämtliche Vorurteile bedienen, die so kursieren. Und wennst weiter so schreist, schmeiss ich dein deppertes Telefon in den nächsten Mistkübel", ich sage: "Could you please stop shouting?"

What did you say? What did you say...BITCH!

"I said: Could you please stop shouting."

Is it... is it because I´m black?

Mein Augenrollen, der erwarteten Reaktion wegen, wird wohl nicht so verstanden, wie ich es gerne verstanden hätte.

"No matter what colour you are. It`s a question of politness. It`s getting on my nerves, if somebody shouts into his mobile phone right next to me. "

Stupid white cunt. SUCK MY DICK! Racist whore! You stink, your pussy stinks. FUCK YOU!

"If there is a racist, it`s not me. But you seem... well, a bit sexist to me."

FUCK YOU! SLUT! FUCKING BITCH!

"Yeah!"

Beinah bin ich beeindruckt von der Schimpftirade, wenn da nicht dieser ausgestreckte Mittelfinger wäre, mit dem der junge Mann, nun direkt vor mir stehend, knapp über meiner Nasenspitze wedelt. Individualdistanz mehr als unterschritten! Die Lippen hat er geschürzt, bereit, mir ins Gesicht zu spucken.

Und dann hab ich es zum ersten Mal getan. Ich habe ihn gebissen. In den Mittelfinger. Den Arschlochfinger.

Er kreischt, er hält den Finger umklammert, fassungslos. Sein Freund, der eine Reihe hinter uns eine junge, blonde Polin mit Beziehungsanbahnungsgesprächen zur amüsierten Verzweiflung getrieben hat, schlägt mir mit der Faust in den Nacken. Zum Spucken haben sie noch Zeit, dann hält die U-Bahn an der nächsten Station.

Ich bleibe sitzen, mit anderer Leute Speichelfäden im Gesicht, verwundert. Über mich selbst. Über diesen Ausbruch an Aggression. Ist es die Stadt, die mich so sein lässt? Oder ist es die Menschheit ansich, deren Verderbtheit mich manchmal erschaudern lässt.
Und dann kommen die Selbstvorwürfe - Was, wenn ich ihn zu fest gebissen habe? Was, wenn er nicht krankenversichert ist? Was...? Ich weiß es nicht.

Jedenfalls hab ich seither eine Geschichte mit unvorhersehbarer Pointe mehr im Repertoire, die sich noch dazu ganz vortrefflich mit verstellter Stimme erzählen lässt, von meiner Verwirrung, den Selbstzweifeln muss ich ja niemandem berichten. Und ein Arschloch, ein Arschloch war das ja tatsächlich.

privataudienz

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der pöbel unter sich

Ich finde die beamtenhaft...
Ich finde die beamtenhaft anmutende Pause in diesem...
bob (Gast) - 23. Dez, 10:14
Das ist doch unglaublich....
Das ist doch unglaublich. Glaub ich.
textorama (Gast) - 22. Sep, 17:11
Wohl eher ein naturhysterisches...
Wohl eher ein naturhysterisches Diorama. Die beiden...
textorama (Gast) - 22. Sep, 17:10
gemüsehunger, immer zur...
gemüsehunger, immer zur unzeit... längst licht aus...
p. (Gast) - 9. Aug, 04:03
gemüsefach hatte an dem...
gemüsefach hatte an dem tag bereits geschlossen.
MoniqueChantalHuber - 6. Aug, 07:58
auf n sprung ins gemüse?
auf n sprung ins gemüse?
p. (Gast) - 6. Aug, 03:56
klammern halten die großen...
klammern halten die großen scheine einfach besser zusammen.
MoniqueChantalHuber - 3. Aug, 16:08
Klammern anstatt Rettungsschirm,...
Klammern anstatt Rettungsschirm, sehr clever.
mq (Gast) - 2. Aug, 09:08
eine fabelnhafte idee.
eine fabelnhafte idee.
MoniqueChantalHuber - 1. Aug, 22:30
Ich überlege gerade,
ob es nett wäre, wenn sich könig egon ladislaus froschojewsky...
schreiben wie atmen - 1. Aug, 22:18

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

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