Donnerstag, 12. November 2009

stereotyp

Wohlwissend um meinen Hang zur verbalen Explosion im Kontakt mit Arschlöchern aller Art und weil ich mich nach innerer Einkehr und Kontemplation sehnte, war es nur naheliegend, selbst im nächtens kaum besetzten U-Bahnabteil den entlegensten Ecksitz einzunehmen, größtmögliche Distanz zum mitfahrenden Volk, um grimmig auf die neonerleuchtete Stadt hinaus zu blicken, in der Absicht, endlich ein paar ruhestiftende Gedanken fassen zu können.

Für zwei Stationen war mir dieser Traum von der weltlichen Entrückung gewährt, denn selbst die vier oder fünf Mitpassagiere schienen froh zu sein über die wundersame Wortlosigkeit inmitten der Großstadt. Das Dröhnen der Maschine ein hypnotischer Sog, Entspannungsmusik in meinen Ohren, denn endlich, endlich kein Geplapper, kein belangloses Geplauder, kein Geschrei, Gekeiffe aus Menschenmund.

Auftritt junger Mann in extracoolem GangsterOutfit, die Kappe schräg, die Hose weit.

Setzt sich neben mich, die GangsterSneakers lässig auf die abschließende Sitzreihe des Waggons drapiert.

Ich bin umzingelt.

Er trägt ein portables Telefon bei sich, gewillt es zu benutzen.

Er wählt, er horcht. Mit einem Ruck, der alle Anwesenden erfasst, durchbricht er die Stille, er brüllt:

Yo man... yo brother... won`t you come and highlight me at the club? Yo...Yeah...Yo...

Sein reduzierter Wortschatz erheitert mich, ich bin geneigt, über die Ruhestörung hinwegzusehen, auch wenn mir der Schädel brummt von dem Geplärre.

Don´t buy it at the club. They just sell you rubbish there. I´ll bring you some real shit!...

Das Gespräch in Schreistärke 8 nimmt eine ungewollte, klischeehafte Wendung. Ich hoffe inständig auf ein Missverständnis. Mein Flehen bleibt unerhört.

Be patient... Wait ´till tomorrow. I´ll sell you some real motherfucking stuff. Some real good shit.

Und wenn ein Trottel ein Trottel ist, dann sag ich das auch.
Und wenn mir einer ganz massiv auf die Nerven geht, dann platzt mir irgendwann der Kragen.

Vorerst noch in der höflichen, diskreten Variante, der anerzogenen Indirektheit wegen.
Nein, ich sage nicht "Gschissener Dealer, ihr Schwarzen habt es alle schon schwer genug hier, da musst du nicht noch öffentlich sämtliche Vorurteile bedienen, die so kursieren. Und wennst weiter so schreist, schmeiss ich dein deppertes Telefon in den nächsten Mistkübel", ich sage: "Could you please stop shouting?"

What did you say? What did you say...BITCH!

"I said: Could you please stop shouting."

Is it... is it because I´m black?

Mein Augenrollen, der erwarteten Reaktion wegen, wird wohl nicht so verstanden, wie ich es gerne verstanden hätte.

"No matter what colour you are. It`s a question of politness. It`s getting on my nerves, if somebody shouts into his mobile phone right next to me. "

Stupid white cunt. SUCK MY DICK! Racist whore! You stink, your pussy stinks. FUCK YOU!

"If there is a racist, it`s not me. But you seem... well, a bit sexist to me."

FUCK YOU! SLUT! FUCKING BITCH!

"Yeah!"

Beinah bin ich beeindruckt von der Schimpftirade, wenn da nicht dieser ausgestreckte Mittelfinger wäre, mit dem der junge Mann, nun direkt vor mir stehend, knapp über meiner Nasenspitze wedelt. Individualdistanz mehr als unterschritten! Die Lippen hat er geschürzt, bereit, mir ins Gesicht zu spucken.

Und dann hab ich es zum ersten Mal getan. Ich habe ihn gebissen. In den Mittelfinger. Den Arschlochfinger.

Er kreischt, er hält den Finger umklammert, fassungslos. Sein Freund, der eine Reihe hinter uns eine junge, blonde Polin mit Beziehungsanbahnungsgesprächen zur amüsierten Verzweiflung getrieben hat, schlägt mir mit der Faust in den Nacken. Zum Spucken haben sie noch Zeit, dann hält die U-Bahn an der nächsten Station.

Ich bleibe sitzen, mit anderer Leute Speichelfäden im Gesicht, verwundert. Über mich selbst. Über diesen Ausbruch an Aggression. Ist es die Stadt, die mich so sein lässt? Oder ist es die Menschheit ansich, deren Verderbtheit mich manchmal erschaudern lässt.
Und dann kommen die Selbstvorwürfe - Was, wenn ich ihn zu fest gebissen habe? Was, wenn er nicht krankenversichert ist? Was...? Ich weiß es nicht.

Jedenfalls hab ich seither eine Geschichte mit unvorhersehbarer Pointe mehr im Repertoire, die sich noch dazu ganz vortrefflich mit verstellter Stimme erzählen lässt, von meiner Verwirrung, den Selbstzweifeln muss ich ja niemandem berichten. Und ein Arschloch, ein Arschloch war das ja tatsächlich.

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textorama - 12. Nov, 17:49

Oi, oi, Gnädigste, Sie haben Neigungen. Ich empfehle Ihnen Kurse zu besuchen die Ihnen die Möglichkeit geben gleich mehrere solcher rotznasigen Rüpel zurück in deren Schranken zu bringen. Beissen ist so unhygienisch. Sie wissen ja nicht wo der Finger vorher war, oder die Wade, oder der Arm.

MoniqueChantalHuber - 12. Nov, 17:51

Meinen Sie Antiaggressionstraining oder mehr so Peitschenschwingkurse?
MoniqueChantalHuber - 12. Nov, 18:26

aber mal im ernst - davon abgesehen, dass ich in puncto gewalt gegen unterlegene und bewusstseinsverändernder substanzen, die nicht alkohol, grünzeug oder kopfschmerztablette sind, ziemlich wenig bis überhaupt keinen spaß verstehe - frage ich mich natürlich schon: was um alles in der welt lässt ein ansonsten so sanftmütiges persönchen derart austicken, dass es 90 kilo jogger umwirft oder kleinkriminelle beisst?

gut, ich ging schon immer dazwischen, wenn ich jemanden unrecht behandelt wähnte oder wie im oben genannten falle denke: du scheißkerl bringst all diejenigen in verruf, die sich bemühen, möglichst unbehelligt zu leben - und mir graust davor, wie manchesmal mit afrikanern umgesprungen wird, da misch ich mich dann auch ein, egal ob sich 200 kilo volldillomuskelprotz in den weg stellen und egal wie das für mich ausgehen könnte - aber den mund halt ich sicher nicht.

nur wieso beisst dieser mund plötzlich?
textorama - 13. Nov, 09:50

Ich verstehe Sie gut. Diesen verdammten Arschlöchern ihre Grenzen klar machen, ihr Weg endet hier, und wenn er nicht macht dass er sich vom Acker schleicht, endet es ziemlich häßlich! Da diese Hohlroller ja immer gleich zur Sache kommen, kann man auch gleich kontern und ihm das Maul stopfen. Da bin ich auch von 0 auf 220 in nullkommanix. Und ein schlechtes Gewissen muss man auch nicht haben. Aber verzichten könnte man auf diese geistig untermöbilierten Vollpfosten allemal.GRMPF!
MoniqueChantalHuber - 13. Nov, 10:21

die idiotendichte

ist zwar - lokal und global gesehen - enorm hoch. ja, ich tendiere teils sogar dazu, der menschheit insgesamt trottelhaftigkeit bis hin zur jenseitsdergrenzdebilität zu attestieren, von löblichen ausnahmen abgesehen, aber der allumfassenden blödheit mit eigengewalt zu begegnen is irgendwie auch nicht so prickelnd.

und wenn, dann hinterlässt man doch keine sichtbaren spuren, tsss. schwerer anfängerfehler.
Judith123 - 12. Nov, 19:03

das mit der Beisserei sollte nicht zur Gewohnheit werden. Ist ihre Tollwutimpfung eh aktuell?

MoniqueChantalHuber - 12. Nov, 19:06

tollwut nein, tetanus ja - infolge eines hundebisses (passiv)

wobei ich langsam den verdacht habe, dass das frln. schon zu tollwütigkeit und raserei neigt, aber da ich keinen schaum vorm mund habe, auch nicht im wütensfalle, war ich bislang relativ unbesorgt.
Pest Krause - 12. Nov, 19:51

Hat der Finger sauer geschmeckt?

MoniqueChantalHuber - 12. Nov, 19:55

eher metallisch-erdig mit einem hauch von süße.
creature - 12. Nov, 19:54

gott sei dank war ich nicht dabei, wer weiß wie ich jetzt aussehen würde!

MoniqueChantalHuber - 12. Nov, 20:01

oh, herr creature!

das müssen sie mir näher erklären, da steh ich verständnismäßig grad im abseits.
creature - 12. Nov, 20:06

entweder hätte ich mich für den tollen "shit" interessiert (auch haben will), oder, falls mit weiblicher begleitung, mich verantwortlich fühle für die unversehrtheit derselben.
MoniqueChantalHuber - 12. Nov, 20:13

achso

...das hätt übrigens zu einem musterbeispiel von "alle schauen zu und keiner macht was" werden können.
gut, ich hab den streit vom zaun gebrochen und ich hab gebissen, dafür hab ich eine ausgewachsene gnackwatschen und zwei tage kopfschmerzen kassiert. glücklicherweise waren das aber keine echten prügelknaben, oder die "frauen schlägt man nicht"-prägung war letzten endes ausgereift genug, denn ich hätt mich auch am platt am boden wiederfinden können, vor publikum, das sich betont desinteressiert gab.
MoniqueChantalHuber - 12. Nov, 20:45

Wunderbar sonderbare U-Bahndialoge

kommen mir da wieder in den Sinn...

Älterer Herr steigt in die U-Bahn. Bleibt vor einer, vermutlich türkischen, Frau mit Kopftuch stehen, sagt auf Publikumswirksamkeit bedacht: "Allah ist groß - Verrecke!"
Wirft einen triumphierenden Blick in die schweigende Runde. Niemand reagiert. Die Frau blickt peinlich berührt zur Seite. "Allah ist groß - Verrecke! Kopftuchschlampe!". Die Frau versinkt beinah in ihrem Sitz. Er weicht ihr nicht von der Seite, kommt ihr immer näher. Die Mitreisenden konzentrieren sich auf`s Weghören.

"Könnten Sie bitte aufhören, die Dame zu belästigen?"

"Ah, sie sind also für die türkische Invasion, Überfremdung. Überall diese Kopftuchweiber. Verrecken sollens, daheim in Anatolien. Wickeln sich ein, damit man ihre grauslichen Gsichter ned sieht."

"Ihr Hut sieht übrigens ziemlich scheiße aus und stört mich optisch, ich beschimpf sie trotzdem nicht."

"Grünwählerin"

"Dunkelrot"

Zückt eine Kamera und beginnt mich zu fotografieren.

"Soll ich ein bisschen mehr Ausschnitt zeigen? So nah kommens einer Frau sicher nie wieder."

"Das schick ich an die Kronenzeitung. Überfremdungsbefürworterin"

"Seite 7 ?! Wenn sie mir was zu schreiben geben, dann notier ich ihnen Namen und Adresse. Ich wart eh schon länger auf meinen medialen Durchbruch."

Leider blieb keine Zeit, noch ein paar Stationen extra zu fahren.
schneck08 - 12. Nov, 23:13

Was Sie so alles binnen Wochenfrist an Interaktion erleben, meine Güte! Mein Leben ist ja regelrecht langweilig dagegen derzeit!

MoniqueChantalHuber - 12. Nov, 23:19

achwas wochenfrist

ich schüttle nur erlebtes der letzten monate bis jahre aus dem kopf, in völlig willkürlicher reihenfolge.

privataudienz

Du bist nicht angemeldet.

der pöbel unter sich

Ich finde die beamtenhaft...
Ich finde die beamtenhaft anmutende Pause in diesem...
bob (Gast) - 23. Dez, 10:14
Das ist doch unglaublich....
Das ist doch unglaublich. Glaub ich.
textorama (Gast) - 22. Sep, 17:11
Wohl eher ein naturhysterisches...
Wohl eher ein naturhysterisches Diorama. Die beiden...
textorama (Gast) - 22. Sep, 17:10
gemüsehunger, immer zur...
gemüsehunger, immer zur unzeit... längst licht aus...
p. (Gast) - 9. Aug, 04:03
gemüsefach hatte an dem...
gemüsefach hatte an dem tag bereits geschlossen.
MoniqueChantalHuber - 6. Aug, 07:58
auf n sprung ins gemüse?
auf n sprung ins gemüse?
p. (Gast) - 6. Aug, 03:56
klammern halten die großen...
klammern halten die großen scheine einfach besser zusammen.
MoniqueChantalHuber - 3. Aug, 16:08
Klammern anstatt Rettungsschirm,...
Klammern anstatt Rettungsschirm, sehr clever.
mq (Gast) - 2. Aug, 09:08
eine fabelnhafte idee.
eine fabelnhafte idee.
MoniqueChantalHuber - 1. Aug, 22:30
Ich überlege gerade,
ob es nett wäre, wenn sich könig egon ladislaus froschojewsky...
schreiben wie atmen - 1. Aug, 22:18

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