Dienstag, 24. Juli 2007

vom leben und sterben auf dem lande - II

Als erstes Tier hielt eine Katze Einzug im Hedwig-Häusl. Die Frau Sigl, Jahrgang 1908, hatte sie noch gekannt, die alte Hedwig, die Frau, die zuallererst das Grundstück bewohnte, als es unser Haus noch nicht gab, sondern nur eine Hütte.
Die Gehöfte trugen alle Namen, Nummern dienten vielleicht der Post als Orientierung, doch der Hofname gab Auskunft über die Besitzverhältnisse und spiegelte ganze Familiengeschichten wider.
(Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang wohl auch, dass ich als uneheliches Kind - eine Schande, auch noch in den Achtzigern, die dem strengkatholischen Umfeld dadurch verborgen blieb, weil mein Stiefvater den Namen meiner Mutter annahm - als Einzige verwandtschaftlich in der Gegend wurzle, stellte sich doch heraus, dass meine Urgroßmutter väterlicherseits nur wenige Kilometer von meiner neuen Heimat entfernt, sich als Magd verdingt hatte und meine Großmutter ein Spross dieser Scholle und außereheliche Tochter des Knechts war. Eine Schmach, über die sie übrigens nie hinweg kam.)

Jedenfalls, die Mona Lisa war der erste Schritt zur Vielviecherei. Andere Hofkatzen genossen beiweitem nicht die Privilegien, die ihr zuteil wurden. Die typische Bauerskatze war mager und ausgezehrt, das Fell struppig und ohne Glanz, die Augen entzündet, die Ohren von zahlreichen Revierkämpfen zerfleddert. Halbwilde Tiere waren das, scheu und agressiv oder schlichtweg dumm.
(Man sagt den Menschen vom Land, vorallem denen aus Gebirgsdörfern, ja einen überdurchschnittlich hohen, soziogeografisch bedingten, Verschwägerundverbrüderungsgrad nach, wenn schon, dann gilt das sicherlich auch für Tiere. So politisch unkorrekt es auch sein mag, ich bin der Überzeugung, ein Gutteil der Hofkatzen im Tal war inzestuös und geistig behindert.) Unsere hingegen war eine strahlende Diva. Als Mäusefängerin war sie hoch begnadet, ihre Nachkommen, sofern nicht zu nah verwandt, genießen heute noch den Ruf, besonders mordlustig zu sein, dennoch wurde sie aus der Dose zugefüttert. Ein absolutes Novum in einer Welt, in der Katzen nichts zählten und ihre Reproduktionsrate der von Mäusen glich. Wann immer es zuviele Kätzchen gab, im Frühjahr und im Herbst, dann rief man die Frau Sigl. Die war eine Engelmacherin für Felidae. Nicht ertränkt oder erschlagen hat sie die Kleinen, sondern ihnen am Hackstock den Kopf abgehackt. Ein grausiges Schauspiel, an dem sie keinesfalls jemanden teilhaben lies, einzig ein paar samtige Härchen klebten hinterher noch am Holz.

Dennoch war mir die Frau Sigl die Liebste von allen Nachbarinnen. Nicht zuletzt natürlich auch, weil ich bei ihr den ganzen Tag fernsehen durfte, ihr Gerät empfing neben ORF1 sogar ORF2. Auf diese Weise kam ich in den Genuss von zahlreichen Heimatfilmen. Von Hans Moser bis Peter Alexander, der Geier Wally und dem Mariandl hab ich sie alle gesehen und ergänzend auch zahlreiche Folgen des Seniorenclubs. Dazu aßen wir Kekse, die selbst frisch aus der Packung alt schmeckten und tranken Caro-Malzkaffee oder den von Linde, pure Instant-Kindheit ist das heute für mich, der Geruch versetzt mich augenblicklich zurück in eine Zeit als ich wohl sieben oder acht war.

So alt muss ich etwa gewesen sein, als die ersten größeren Tiere hinzukamen.

Die paar Joch Grund, die meine Eltern besaßen, zwei sumpfige Streifen Wiese, den großen Gemüsegarten, ein wenig Wald, in dem im Frühling Maiglöckchen, im Sommer Walderdbeeren, im Herbst dann tellergroße Parasole wuchsen, dazu noch einen sonnenbeschienenen Abhang, auf dem wilde Kräuter wucherten, sich Blindschleichen und Kreuzottern tummelten und Rehe ästen, nachdem sie alle jungen Knospen von den Bäumen gefressen hatten, bedurften der Pflege. Wiesen müssen gemäht werden. Zwar hatte mein Vater gelernt, die Sense zu schwingen und zu dengeln, doch blieb stets die Frage: wohin mit dem Heu? Erst hatte er ein Abkommen geschlossen, mit einem der Nachbarn – unser Heu für die Entsorgung der Senkgrube, ein Kanalisationsnetz in dem Sinne gab es nicht, jeder entsorgte den Inhalt der Odel- (ein Wort, dessen Aussprache eine bedenkliche klangliche Ähnlichkeit zum Wort Adel hat, ich vermute, ohne etymologische Prüfung, ganz frei assoziert, eine gewisse Absicht dahinter) oder Jauchegrube direkt auf Feld und Wiese oder in den nächsten Bach. Manche Höfe und Häuser, so auch unseres, verfügten allerdings über ein sumpfpflanzenüberwuchertes Rinnsal, eine Art biologische Kläranlage, die Abwässer filterte. Das Grundstück jedoch war mit Maschinen schwer zu bewirtschaften und der Aufwand stand nicht für den kargen Ertrag.

Viele unserer Bekannten, Nebenerwerbskünstler und Neobauern, hatten sich Milchschafe oder Ziegen zugelegt. Beides kam für meine Eltern nicht in Frage. Zu aufwendig war deren Haltung, besonders Ziegen haben das Talent zur Nervensäge. Ausserdem, was hätten wir mit Milch und Fleisch angefangen? Wir Kinder weigerten uns unpasteurisierte Milch zu trinken, ein Tick der mir bis heute geblieben ist. Ein Tier, das wir beim Namen kannten, hätten wir wissentlich niemals verspeist. So also fiel die Entscheidung auf Kamerunschafe als Landschaftsgärtner mit Option auf Tod durch Altersschwäche. Eine kleinwüchsige, afrikanische Schafrasse, optisch ein Hybrid aus Zwergziege und Mufflon, mit kurzem Deckhaar und recht anspruchslos in der Haltung. Ramses und Rocko hießen die beiden Böcke, die von nun an, durch einen Maschendrahtzaun getrennt, neben den frechen Rehgeißen grasten. Ein seltenes Bild, denn Weidehaltung war ein romantisches, aber damals de facto kaum mehr praktiziertes bäuerliches Ideal. Alles was größer war als eine Katze, wurde normalerweise weggesperrt und kam an die Kette. Vom Haushund bis zur Kuh.

Hühner und Kinder bildeten die Ausnahme. Zwar ging das Gerücht, ein Nachbarspaar, allein schon aufgrund der Tatsache suspekt, dass eine Katholikin einen Zeugen Jehovas geheiratet hatte, hätte seinen Nachwuchs vor zwanzig Jahren noch in ein großes Eichenfass gesperrt, wenn die Feldarbeit anstand und den legendären Mohnzutz, die beruhigende Mohnkapsel als Schnullerersatz, den kannten wohl einige noch aus eigener Erfahrung, dennoch war das Landvolk tendenziell kinderfreundlich (das Verhältnis zu Hühnern war mehr geschäftlich).

Die Produktion des Nachwuchses allerdings war mit einem Tabu belegt. Ausgerechnet die Menschen, die tagtäglich mit den Kreisläufen der Natur, mit Geburt und Tod zu tun hatten, scheuten dies Thema wie der Teufel das Weihwasser. Mein jüngster Bruder war die erste Hausgeburt, die diese Region seit Jahren erlebt hatte. Zwar standen schwangere Bäuerinnen auf dem Feld oder saßen am Traktor bis ihnen die Fruchtblase platzte, doch geboren wurde in der Stadt. Für viele Frauen war das die einzige Gelegenheit einmal über die Grundstücksgrenze hinauszukommen. Den Kindern daheim wurde erzählt, die Mama sei mal eben einkaufen oder schwer krank. Was glauben sie, wie die Nachbarskinder dreinschauten als ich, die ich mit alternativen Schwangerschaftsratgebern lesen lernte, die Aufklärungsarbeit übernahm.

wird fortgesetzt

privataudienz

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der pöbel unter sich

Ich finde die beamtenhaft...
Ich finde die beamtenhaft anmutende Pause in diesem...
bob (Gast) - 23. Dez, 10:14
Das ist doch unglaublich....
Das ist doch unglaublich. Glaub ich.
textorama (Gast) - 22. Sep, 17:11
Wohl eher ein naturhysterisches...
Wohl eher ein naturhysterisches Diorama. Die beiden...
textorama (Gast) - 22. Sep, 17:10
gemüsehunger, immer zur...
gemüsehunger, immer zur unzeit... längst licht aus...
p. (Gast) - 9. Aug, 04:03
gemüsefach hatte an dem...
gemüsefach hatte an dem tag bereits geschlossen.
MoniqueChantalHuber - 6. Aug, 07:58
auf n sprung ins gemüse?
auf n sprung ins gemüse?
p. (Gast) - 6. Aug, 03:56
klammern halten die großen...
klammern halten die großen scheine einfach besser zusammen.
MoniqueChantalHuber - 3. Aug, 16:08
Klammern anstatt Rettungsschirm,...
Klammern anstatt Rettungsschirm, sehr clever.
mq (Gast) - 2. Aug, 09:08
eine fabelnhafte idee.
eine fabelnhafte idee.
MoniqueChantalHuber - 1. Aug, 22:30
Ich überlege gerade,
ob es nett wäre, wenn sich könig egon ladislaus froschojewsky...
schreiben wie atmen - 1. Aug, 22:18

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

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