Donnerstag, 19. April 2007

reality check

„Welche Medikamente nehmen sie?“ hat man mich zuallererst gefragt. „Aspirin.“ Ich bin ja nicht verrückt. Dabei sind mir die Irren am Liebsten. Da weiß ich woran ich bin.

Man braucht ein wenig Übung um es auf Anhieb zu erkennen, ausser bei denen die schon ganz grau sind. So grau wie die Linoleumböden der Klinik. Wollen nicht auffallen. Mimikry. Insekten, die aufgeschreckt durch die Flure huschen, wenn morgens Kunstlicht ihre vertrauten Schleichwege flutet und der Frühstückscontainer hereingerollt wird. Wer zu lange Zeit hier drin verbringt, bleicht aus. Die Neuen, die, die sich auch in der Welt draussen noch zurecht fanden, erkennt man daran, dass ihre fiebrigen Augen langsam trüb werden. An den Augen erkennt man sie immer. Blinde Spiegel an denen die Wirklichkeit der anderen abprallt. Alice im Wunderland und was Alice hinter den Spiegeln fand.

„Die Schlangen, die Schlangen, sie werden mich töten!“ schreit die Psychose und springt zitternd aus dem Bett, eingewickelt in durchgeschwitzte Decken. „Geh wieder schlafen“, sage ich zum Dürüm, „ich beschütze dich. Wenn sie nochmal kommen, dann ruf mich und ich erschlag die Viecher.“ Nachts kriecht Gewürm aus ihren Träumen und erdrosselt sie, unter Tags sitzt die unsichtbare Freundin ihr im Nacken. „Der will dich doch nicht. Der heiratet dich nicht. Niemals. Du bist viel zu hässlich. Amina koyayim! Amina koyayim! Ach, fick dich doch!“

Der Groschenroman streift die Trachtenjoppe glatt und zupft an imaginären Fäden. Nerven verloren - irgendwo zwischen Stall und Kirche. Schuld und Sühne und Pelargonien. „Dreckige Sau“ sagt sie zu ihrem Abbild und seift ihr Gesicht ein. Ihr Kurschatten ist groß gewachsen, breitschultrig, ein ganzer Kerl. „So wie der Jaques“ seufzt die Gebirgsromantik „Mein Mann wird gleich anrufen, was mach ich nur? Ich muss den Hans nochmal sehen. Ich liebe ihn. Ich liebe ihn. Ich hab auch den Jaques geliebt. Ich bin ein schlechter Mensch. Ein schlechter Mensch. Eine richtige Drecksau!“ Sie wäscht sich rein von allen Sünden bis ihre Lippen bluten.

Die Schwestern und Pfleger sitzen in ihrem Glaskasten, wie Menschenaffen im Zoo. Ich müsste lachen, wenn einer von ihnen Bananen äße. Manchmal verspüre ich den Drang gegen die Scheibe zu klopfen, nur um zu sehen was passiert. Wahrscheinlich würden sie es gar nicht bemerken und unbekümmert weiter Datenblätter ausfüllen, Kaffee trinken oder in Illustrierten blättern. Insanity is a full-time-job. Die alte Matrone hängt an der Infusion, die ihr eine Kollegin gelegt hat. Bandscheiben. Der dürre Schnurrbart spielt Karten mit der kleinen Brünetten. Ausgelatschte Birkenstocksandalen sind unsexy. Manche Phantasien werde ich nie verstehen. Im Schwesternzimmer nichts Neues.

Geier Wally kehrt von ihrem Ausgang zurück. Mit glühenden Wangen, brennenden Schandmalen. Ihr Mann hat vorhin angerufen, ich habe behauptet sie würde schlafen. Er wird es später sicherlich nochmal versuchen, dann muss ich nicht mehr lügen. Mir bleiben genau zwölf Minuten um sie wieder aus der Dusche zu zerren und ihr das Nachthemd überzustreifen, bevor die chemische Keule sie niederstreckt. Die Pfleger haben anderes zu tun.

Noch eine Runde um´s Kukuksnest fliegen. Wer Zigaretten hat, hat Freunde. Sie ernähren sich davon. Und von den bunten Pillen, die die Schwestern verteilen. Portionierte Realität. Morgens, mittags, abends. All that measuring of truth. Dazwischen gesüßter Tee aus stählernen Kanistern.

Die Marienerscheinungen gehen zu ihm oder zu ihr und haben wahrscheinlich Sex. Borderline ist aufgedunsen, ihr Haar schütter und fettig. Sie sitzt in eine Ecke gekauert und saugt an einem Zigarrettenstummel. Ihr linker Arm ist verbunden. Sie hat sich gestern Nacht die Pulsadern aufgeschnitten, diesmal mit einem zerbrochenen Zahnputzbecher. Die scheintote Depression kommt von der Elektroschockbehandlung zurück. Ihr Gesicht ist so vergilbt wie die Wände des Raucherraumes. Für gewöhnlich dauert es eine halbe Stunde bevor sie wieder sprechen kann, bis dahin raucht sie stumm.

Der nette Junge von nebenan bringt mich zum Lachen. „Erst dachte ich, ich könnte Gedanken lesen. Das war cool. Dann haben sie mir gesagt, ich höre Stimmen weil ich schizophren bin.“ Ein scheuer Gnom kauert auf der Bank. In einigen Historienfilmen hat er mitgespielt, sogar einer Hollywoodproduktion, als Statist. Wann immer besonders hässliche Kreaturen gebraucht wurden, haben sie ihn gebucht. Er engagiert sich in der Freichristengemeinde, seine Ehe ist gescheitert. „Du trauriges Männchen. Versager!“ hat seine Frau gesagt, da hat er ihre Schlaftabletten geschluckt. Warum gerade die Verzweifelten so oft religiös werden? Oder verzweifeln die Religiösen?

Die Schlangenfrau durfte über Nacht zu ihren Eltern. Die Depression ist beim Herrn Johann. Borderline war vorgestern dort.

„Im Himmel und auf Erden, Gottvater soll gepriesen werden.“ hört man den monotonen Singsang des Alten, der tagein, tagaus seine Runden durch die Allee der Klinik dreht, durchs Fenster dringen. Ein klarer Fall. Doch man wird vorsichtig. Norm und Wahn, alle tragen sie Straßenkleidung.

Anfangs dachte ich, der Herr Johann wäre einer von ihnen. Er saß bereits da, als ich das erste Mal den Raucherraum betrat. Darin rotten sich all jene zusammen, die auch nach der Abendmedikation noch lebendig sind. Bis ihn ein Stationspfleger gebeten hat, endlich zu gehen, da wusste ich es plötzlich. Polizist war er, der Herr Johann, Hundestaffel. Er ist groß und üppig und insgesamt imposant.

Wir sind von einer verwandten Art. Es gibt keinen geheimen Gruß, kein verschwörerisches Zwinkern zwischen uns und trotzdem bin ich sicher, dass er es auch weiß.

Der Herr Johann, der ist kein Patient. Er ist wie ich nur auf der Suche. Wir gehören beide nicht hier her. Er nimmt sich die selbstlosen Mädchen mit nach Hause, die, die nicht mehr zu sich finden. Und ich, ich werde noch eine ganze Weile hier drin bleiben und sie beobachten, die Verzweifelten und Gestrandeten. Das rückt meine Sicht der Dinge wieder zurecht - ich nenne das Reality check.

sitting bull

SITTINGBULL

wortgewaltenteilung

Man/Fraufred lebt in einer/einem BinnenIstaat.
Man/Fraufred sieht sich als FeministIn.
Man/Fraufred hat regelgemäße/n Schriftverkehr.

Man/Fraufred macht sich
nur mit Druckbuchstaben/Innen
ein xx für ein xy vor.

Doch der/die Sprachfluss der/die das Land teilt,
trägt mitnichten und -neffen dazu bei,
dass auf Fraufreds Konto monatlich
der/dieselbe Lohn ausbezahlt wird.

Manfred ist für halbe-halbe, also ein Viertel,
und hilft den/die Wortsalat marinieren.
Fraufred genügt das.

me & the gaybar

ich habe ungezogene kinder oder hunde gesittet, gurkengläser befüllt, post ausgetragen, telefonisch spenden gekeilt, mein geld in spielhallen verdient und in supermärkten, habe musterzimmer geplant, austellungsräume dekoriert, werbetexte verfasst und geschäftsbriefe, war radiosprecherin, zugstewardess, speisewagenkellnerin, bin auf märkte gefahren um spielzeug, schaumrollen und im winter raketen unter`s volk zu bringen, hab pommes im freibad verkauft, blumengestecke gebunden, reitunterricht gegeben, am papier auch studiert, aber schwulenbar... das ist selbst für mich eine neue erfahrung.

privataudienz

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der pöbel unter sich

Ich finde die beamtenhaft...
Ich finde die beamtenhaft anmutende Pause in diesem...
bob (Gast) - 23. Dez, 10:14
Das ist doch unglaublich....
Das ist doch unglaublich. Glaub ich.
textorama (Gast) - 22. Sep, 17:11
Wohl eher ein naturhysterisches...
Wohl eher ein naturhysterisches Diorama. Die beiden...
textorama (Gast) - 22. Sep, 17:10
gemüsehunger, immer zur...
gemüsehunger, immer zur unzeit... längst licht aus...
p. (Gast) - 9. Aug, 04:03
gemüsefach hatte an dem...
gemüsefach hatte an dem tag bereits geschlossen.
MoniqueChantalHuber - 6. Aug, 07:58
auf n sprung ins gemüse?
auf n sprung ins gemüse?
p. (Gast) - 6. Aug, 03:56
klammern halten die großen...
klammern halten die großen scheine einfach besser zusammen.
MoniqueChantalHuber - 3. Aug, 16:08
Klammern anstatt Rettungsschirm,...
Klammern anstatt Rettungsschirm, sehr clever.
mq (Gast) - 2. Aug, 09:08
eine fabelnhafte idee.
eine fabelnhafte idee.
MoniqueChantalHuber - 1. Aug, 22:30
Ich überlege gerade,
ob es nett wäre, wenn sich könig egon ladislaus froschojewsky...
schreiben wie atmen - 1. Aug, 22:18

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

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