Sonntag, 30. September 2007

intersex

ein gedankenexperiment zur einstimmung: man stelle sich vor in einer einträchtig beim fernsehsport beisammen sitzenden männerrunde ganz beiläufig das wort "KASTRATION" fallen zu lassen. es existiert wohl kaum ein andere vokabel von derartiger psychosomatischer durschlagkraft. selbst dem gestandenen mannsbild wird davon zumindest ein bisschen blass um die nase.

versuchen sie nun umgekehrt an einem beliebten frauentreffpunkt, tupperwareparty z.b., vermittels eines einzigen wortes negative assoziationen und gequältes zusammenzucken auszulösen. der terminus der wahl: "HYSTEREKTOMIE". sie werden unverständige blicke ernten, doch ansonsten keine weitere reaktion. sofern sie einer akademischen tupper-runde beiwohnen, können sie noch einen weiteren versuch unternehmen, weibliche reflexe zu testen. der begriff "GENITALVERSTÜMMELUNG" sollte wenigstens bei einem viertel der anwesenden eine deutliche äußerung des körperlichen unbehagens bewirken.


die hünenhafte frau mit dem gesicht eines jungen tunichtgut war mitten ins gespräch vertieft, als ich eintrat, und so lautete das erste wort, das ich aus ihrem munde vernahm: "umschnalldildo". ein reichlich kurioses szenario für ein in homoerotischen belangen völlig unbescholtenes landmädel wie mich. doch weil ich kuriositäten mag, mochte ich auch alex.

schülerinnen der sappho waren mir zuvor nur wenige begegnet.
(an meiner schule gab es eine einzige bekennende lesbe, immerhin eine mehr, als es bekennende schwule gab. die adoleszenz war zwar auch bei mir begleitet von knutschereien mit anderen jungen frauen, meinerseits eine reine notlösung, da ich ansonsten noch länger ungeküsst geblieben wäre, andererseits handelte es sich schlichtweg um gruppenzwang und vermeintliche hippness - mädchen küssten andere mädchen übrigens nur vor testosteronumnachtetem publikum.) alex war herrlich anders. kein small-talk über gesichtswässerchen und männer, keine tritratrallala-weiberpseudothemen.

aus der maskuline lesbe und der burschikosen hete, die an ihrer existenzberechtigung zweifelte (- mein damaliger freund hatte mich verlassen, weil ich im praxistest seinen vorstellungen von weiblichkeit doch nicht entsprach. eine frau hat lange haare zu haben und sich aufreizend zu kleiden. diese reduktion auf antrainierte primärreize, lässt mir zwar auch heute noch hin und wieder die galle aufsteigen, doch ignoriere ich mittlerweile frohgemut alle ratschlagenden, die danach trachten, meine - nach frauenzeitschriftenstandards bemessen - mangelnde weiblichkeit zu sanieren) wurden freunde.

alex berichtete aus ihrem leben. sie tat das mit einer bildhaften, gewalttätigen sprache, die mir bisweilen den atem raubte, gleichzeitig war sie sanft, empfindsam und unglaublich witzig. nein, verliebt habe ich mich nie in sie, aber sie wurde zu einem der wenigen menschen, die ich wirklich schätze.

schließlich kam der tag, an dem sie mir die wahrheit erzählte.

alex, die meiner kleinen hetero-welt - meiner zerissenheit zwischen biologie und selbstbestimmung - ein paar neue sichtweisen eröffnete, diese alex stand weitaus mehr zwischen den geschlechtern, als ich es jemals tat.

alex ist intersexuell - hermaphrodit - zwitter - für alle die`s gern ein bisschen drastisch haben. the voyeur in me is the voyeur in you.

eine laune der natur, eines von den kindern, die man sonst nur aus formalingefüllten einmachgläsern kennt, worin sie in der präparatenkammer für abnormitäten lagern. ein fleischgewordenes lehrbeispiel, ein genitales kalb mit drei köpfen, dem ärzteschaft und pflegepersonal zwischen die beine glotzt. ein mensch, der nicht in eine gesellschaft passt, die schon schwierigkeiten damit hat leute zu akzeptieren, die ihre sexualpartner nicht nach reproduktionsorientierten maßstäben wählen.

in zahlreichen lehrbüchern, gespickt mit dramatischen bildern (eine vielzahl davon bezeichnenderweise aus einer zeit, als man normabweichungen etwa am spiegelgrund endlagerte) findet sich, im zusammenhang mit intersexualität, auch heute noch oft der zusatz "schwachsinnig", "von geringer intelligenzleistung". nicht brauchbar zur vermehrung der rrrasse eben.

gerne werden die begriffe intersexualität und transgender verwechselt. alex aber hat sich nie im falschen körper gefühlt, man hat ihm den falschen körper gebaut. den jungen, der den tabellen und messwerten zufolge kein richtiger ist, kastriert und ihn zum mädchen gemacht, das nie eine frau sein wird. mechanisch voll funktionsfähig - für uneingeschränktes penetrationsvergnügen etwaiger partner.

"ja, was sollen wir denn machen?" fragen sich die eltern und wollen das beste für ihr kind. "ja, da muss man doch was machen!" sagt sich der halbgott in weiß und kriegt schöpfungs- und erlöserphantasien. "ja, da kann man halt nichts machen" sagt die gesellschaft, "solche kinder werden eben nicht akzeptiert, wenn sie bleiben wie sie sind." dabei hat die mehrheit einfach glück gehabt. eine so komplexe angelegenheit wie die entwicklung eines vollständigen körpers aus mutters follikel und ein bisschen väterlichen schleims ist eine ganz wundersame, doch fehleranfällige, begebenheit. der menschenwurm im intrauterinen schwimmbecken ist anfänglich beides - yin und yang. erst durch die einwirkung von geschlechtshormonen wird`s ein bub oder ein mäderl oder ein nichtganzbubnichtganzmäderl, ein nichtganzmäderlnichtganzbub, ein mehrbubalsmäderl, ein mehrmäderlalsbub oder ein bubmäderl/mäderlbub.

heute, wo er selbst entscheiden darf, lebt alex - als alex jürgen - das leben eines mannes. soweit ihm das möglich ist. denn letztlich wird er immer zwischen den klassischen, den biblisch fortpflanzungsorientierten, geschlechtern stehen.

manchmal befallen mich skrupel, ihn als den intersexuellen freund vorzuführen, weil ihn doch mehr ausmacht, als die tatsache, dass die embryonale entwicklung nicht den standardweg nahm. aber ich empfinde ganz aufrichtige bewunderung dafür, wie alex jürgen zu seiner geschichte steht, in einer rollen- und geschlechterklischeebesetzten welt, die mich manchmal straucheln lässt.

empfehlung
auch wenn ich der regisseurin elisabeth scharang bis heute vorwerfe, sie hätte mehr aus dem thema machen können, anstatt sich selbst in bester "die schöne und das biest" - manier ins günstige licht zu rücken.
sonntag, 7.10., 23 uhr, orf2:

tintenfischalarm, eine dokumentation über die identitätsfindung von alex jürgen.

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https://geleeroyale.twoday.net/stories/4306646/modTrackback

walhalladada - 30. Sep, 10:57

die natur ist doof...

meiner unentschlossenheit ist ihr kommentar zum opfer gefallen. ich bitte dies nachzusehen!

MoniqueChantalHuber - 30. Sep, 10:59

ach, ich dachte schon ich wär ihnen auf den schlips getreten.

nicht nur die natur, auch mein kommentar war doof. die bebilderte anleitung kam mir allerdings sehr gelegen!
walhalladada - 30. Sep, 11:04

eben die wollte ich nicht mehr so leicht zugänglich machen - immerhin geht es um kunst :)
MoniqueChantalHuber - 30. Sep, 11:09

wissen sie wie schwer es ist an vernünftige krawattenknotungsanleitungen zu gelangen? glücklicherweise hab ich den link gleich gespeichert, bäh!
neo-bazi - 30. Sep, 13:09

Herzlichen Dank für den Filmtipp, ich kann ja jetzt auch Österreich empfangen. Ich habe als ganz junger Mariner in Flensburg einen Zwitter kennengelernt, der hat damals unsere Phantasie ungemein angeregt, mit der wirklichen Problematik hat sich aber keiner von uns beschäftigt.

Weiterer Vorteil des Tipps (Ich habe keine Fernsehzeitung, da ich fast nie glotze) Heute 23:00 Uhr auf ORF2: Fahrenheit 9/11 von Michael Moore, den kenn ich auch noch nicht. Merci also.

MoniqueChantalHuber - 30. Sep, 23:42

gern geschehen.

keine ahnung ob tintenfischalarm in deutschen kinos mit untertitel lief, für nicht-muttersprachler isser nämlich streckenweise kaum zu verstehen.
MoniqueChantalHuber - 1. Okt, 00:11

mir war die thematik ebenfalls lange fremd. abgesehen von zeitweiligem getuschel, wenn man mal wieder von einem kind hörte, das "...na...sie wissen schon.... nicht ganz normal..." geboren wurde.

intersexualität hat ja viele gesichter. die phantasie vom eindeutig zweigeschlechtlichen wesen, die, wenn man aus den googleanfragen rückschlüsse ziehen darf, ziemlich ähm... beliebt sein dürfte, ist eher im bereich der märchen anzusiedeln. ich werde hier keine bilder veröffentlichen, weil ich keine sensationsheischende freakshow veranstalten will, aber möchte zumindest ein paar seiten verlinken, die das thema so behandeln, wie ich es betrachtet wissen will - die geschichten hinter einer erstaunlich verbreiteten entwicklungsspielart, nicht die anatomischen ausprägungen.

die xy-frauen z.b.
tpl - 30. Sep, 23:45

hab schon letztes jahr auf fm4 ein interview mit alex bezüglich seines filmes genießen dürfen.
- den film selbst hab ich mangels babysitter leider versäumt (vl. doch mal in der videothek meines vertrauens nachfragen...)

Anna Licht - 1. Okt, 00:57

Danke für den Filmtipp. Im Gegenzug möchte ich gerne eine Leseempfehlung zum Thema hinterlassen: Middlesex von Jeffrey Eugenides.

Grüße, Anna

MoniqueChantalHuber - 1. Okt, 01:04

besten dank zurück! der titel ist mir geläufig, nur gelesen hab ich`s noch immer nicht.

einen schönen bildband, wenngleich eher transsexualität betreffend, gibt es übrigens hier:
http://www.amazon.de/Transsexuelle-Menschen-Deutschland-falschen-Körper/dp/3931288005
MoniqueChantalHuber - 1. Okt, 02:05

slightly melodramatisch, trotzdem sehr sehenswert:

Intersex

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gefunden bei kittyxy

RAS - 1. Okt, 10:18

da gibt es doch auch dieses bestsellerbuch..titel entfallen..., eine sich schnell weglesende, bzw. weghörende 'einführung' in das thema auf belletristischem weg.

zu allem anderen: tja...zu all den idenditätsproblemen kommt gerade in der provinz (siehe usa, siehe any other provinz) oft noch das ganz erheblich sich steigernde tötungsrisiko. da reicht es oft schon ausserhalb eines modehypes herrenhut zu tragen, aus eigener erfahrung.

meine mich dunkel zu erinnern aus eher seriöser quelle (arte themenabend) gehört zu haben das jedes ca. 10te kind nicht ganz geschlechtsident geboren wird. es ist (zumindest in D) wohl gängige praxis die eltern gar nicht erst damit zu behelligen, da die gemeinhin völlig hysterisch auf sowas reagieren und mal eben schwuppedischwupp eine kleine 'geschlechtsangleichende' op marke kleineres übel vorzunehmen, je nach ausprägung.
http://archives.arte-tv.com/de/archive_33703.html

MoniqueChantalHuber - 1. Okt, 12:12

das gesuchte buch wird vermutlich bereits genanntes "middlesex" sein.

die schätzungen zufolge wird eines von 2000 kindern mit nicht klar definierbarem geschlecht geboren, manche quellen sprechen auch von 2-3 von 1000, wobei die dunkelziffer noch weitaus höher liegen kann. es existieren ja zig varianten der intersexualtität. oftmals wird eine solche diagnose überhaupt erst in der pubertät gestellt, manchesmal nie.

der arte-link war super! gracias! da findet sich auch die geschichte von david reimer und die frage, was nun die geschlechtsidentität ausmacht: nature or nurture.
RAS - 1. Okt, 14:59

phhh - zensörinnen sag ich weder wetter noch burschis voraus!
MoniqueChantalHuber - 1. Okt, 16:00

es fiel dem zensör die zensur durchaus schwör und der bursche war auch allerliebst anzusehen aber heut is thementag, schärie. hab ich grad so beschlossen.
katiza - 1. Okt, 12:45

Und dann war da noch

Erik(A) Schinegger, auch ein sehr interessanter Film und ein bewegender Fall....

MoniqueChantalHuber - 1. Okt, 12:56

wieder was dazugelernt, jetzt weiß ich auch was ein barr-test ist.
croco - 1. Okt, 22:50

Danke für die interessanten links. Jugendliche stellen oft diese Fragen, auch weil sie gerade ihre eigen Identität suchen.I ch gebe die an meine Schüler weiter.

MoniqueChantalHuber - 4. Okt, 18:50

das freut mich!
dieJulia - 2. Okt, 11:53

Das (autobiographische) Middlesex ist übrigens wirklich sehr lesenswert. Kann ich empfehlen.

RAS - 2. Okt, 21:40

lesenswert auf jeden fall - aber autobio ist reine spekulation. hier gibts übrigens eine wirklich umfangreiche litliste
http://www.genderwunderland.de/medien/buecher/buecherkategorien.html
ConAlma - 7. Okt, 16:25

programmänderung?

im tageszeitungsprogramm ist statt tintenfischalarm burma???

MoniqueChantalHuber - 7. Okt, 16:31

seltsam und schade

auch die orf-seite sagt burma statt tintenfisch.
MoniqueChantalHuber - 7. Okt, 16:35

11.11., 23. uhr, orf2

ist der neue sendetermin.

privataudienz

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Ich finde die beamtenhaft anmutende Pause in diesem...
bob (Gast) - 23. Dez, 10:14
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Das ist doch unglaublich. Glaub ich.
textorama (Gast) - 22. Sep, 17:11
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textorama (Gast) - 22. Sep, 17:10
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p. (Gast) - 9. Aug, 04:03
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MoniqueChantalHuber - 6. Aug, 07:58
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auf n sprung ins gemüse?
p. (Gast) - 6. Aug, 03:56
klammern halten die großen...
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MoniqueChantalHuber - 3. Aug, 16:08
Klammern anstatt Rettungsschirm,...
Klammern anstatt Rettungsschirm, sehr clever.
mq (Gast) - 2. Aug, 09:08
eine fabelnhafte idee.
eine fabelnhafte idee.
MoniqueChantalHuber - 1. Aug, 22:30
Ich überlege gerade,
ob es nett wäre, wenn sich könig egon ladislaus froschojewsky...
schreiben wie atmen - 1. Aug, 22:18

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