Donnerstag, 7. Juni 2007

sweet child o' mine

Schon am Tag meiner Geburt wurde ich erwachsen. „Wie froh war ich, als ich dich hatte, für dich konnte ich endlich deinen Vater verlassen“ sagte unsere Mutter später. Meine Schultern wurden breit von der Verantwortung, die auf ihnen lastete. Andere hatten ihre ersten Haltungsschäden von der schweren Schultasche und ich von fremder Hoffnung und Angst, eine irreparable Druckstelle, eine Delle im Selbst. Keine der Erwartungen habe ich je erfüllt.

„Du hast eine Bringschuld“ sagte unser Vater später, wenn er denn mit mir sprach. „Ich investiere nicht in ein aussichtsloses Unternehmen“ sagte er auch, oder: „Leute wie du sind nicht lebensfähig.“ Und ich setzte alles daran, zumindest diese Prophezeiung wahr werden zu lassen.


Sie mag keine Geschichten die schlecht ausgehen. Nein, nein, nein! Wenn mich eine schlammige Flut trauriger Erinnerungen überrollt, eine Welle von Ängsten meine Zukunft ertränkt, den Mut zum Aufstehen, die Lebensenergie fortspült, dann stampft sie trotzig auf: „Pah, blöde Depressionen.“ Mit verbissenem Eifer versucht sie mich abzulenken, mich mit Albernheiten zum Lachen zu bringen.

„Sich zuhause verkriechen ist total doof und immer traurig sein auch, ich will was unternehmen“ quengelt sie und bettelt solange, bis ich nachgebe. Oft genug gelingt es ihr jedoch nicht, dabei ist sie so mitreißend unbekümmert.

Im Gegensatz zu mir hat sie überhaupt nichts ernsthaftes an sich. Ich bin der melancholische Sauertopf, sie die quirlige Frohnatur. Wenn ich still sitzen und grübeln würde, springt sie herum, summt fröhliche Lieder, treibt allerhand Unfug.

Ich bin die Zurückhaltende, die Herbe, die Kühle, sie dagegen ist ein kleines Showtalent und liebt Publikum.

„Ich weiß eigentlich gar nicht wie lang meine Zunge ist“ sagt sie und steckt sich einen Rollmeter in den Mund. „Weiter als elf Zentimeter komm ich nicht, ohne zu würgen.“ stellt sie fest und lacht.

Oder sie fragt: „Darf ich mal?“ und leckt über seine Hand „Wegen der Elektrolyte.“ sagt sie und grinst schelmisch.

Manchmal geht mir ihr kindlicher Übermut auf die Nerven. Besonders wenn er dabei ist. „Reiß dich mal zusammen!“ schimpf ich sie dann. „Was sollen denn die Leute denken?“ Das ist ihr völlig egal.

Im Kaffehaus schnappt sie sich ein Päckchen Zitronensaft, schneidet Grimassen und kichert: „Schau, wie komisch man das Gesicht verzieht, wenn etwas so sauer schmeckt. Willst du auch probieren?“ Mir ist das peinlich und er wirft mir genervte Blicke zu. In solchen Momenten würd ich sie am liebsten zuhause einsperren.

„Kannst du nicht ein bisschen erwachsener sein?“ bittet er sie und ich weiß, wie wichtig ihm das ist. Unsere Symbiose irritiert ihn, wir passen nicht in sein fertiges Leben.

„Wir kommen auch alleine klar“ beruhige ich sie „das haben wir immer geschafft“. Ihn kann ich gehen lassen, weil sie alle gehen werden, unser Vater war der erste. Doch ohne sie kann ich noch nicht sein.

„Du bist die nette, blonde Prinzessin aus dem Märchen, die ich eigentlich immer war und ich bin die dunkle Königin geworden, die unser Vater haben wollte, weil die Bösen die Cooleren sind. Wenn du nicht hier wärst, würde ich fallen und zerbrechen, so kalt und starr wie ich nun bin.“ erkläre ich ihr.

„Apropos“, sagt sie “ ich möchte ein Eis“. Das hat sie sich redlich verdient – denn andere bewahren sich ihr inneres Kind, mich hat mein inneres Kind bewahrt.

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walhalladada - 7. Jun, 13:03

Den letzten Satz lasse ich mir auf und
für alle Fälle in Kreuzstich sticken :)

MoniqueChantalHuber - 7. Jun, 17:50

kreuzstich? sie meinen arschgeweih?
Au-lait - 7. Jun, 18:44

Mofalenker.
walhalladada - 7. Jun, 19:06

Ich vergaß, dass es nicht unbedingt zu den Gepflogenheiten von Königinnen gehört, sich in den Niederungen handarbeitlicher Tätigkeiten auszukennen...und Arschgeweihe kennt man ja schließlich von der täglichen Jagd!
Mit 'Kreuzstich' meinte ich ein solches Verfahren.
Gerahmt sieht das sehr hübsch aus :-)
MoniqueChantalHuber - 7. Jun, 20:15

ich beliebte zu scherzen, natürlich ist mir dieser zeitvertreib bekannt. acht harte jahre lang musste ich klöppeln, stricken, häkeln, nähen, weben und die spindel drehen, die drohende knute der gestrengen erzieherin stets vor augen. doch meinen zwei linken händen mochte es nicht gelingen "home, sweet home" oder "morgenstund hat gold im mund" auf zierkissen zu applizieren, auch blieb mir verborgen, wie um alles in der welt mich der erwerb solcher fähigkeiten aufs leben vorbereiten sollte, oder meine chancen auf dem heiratsmarkt verbessern könnte.

das nützlichste aller handwerke, nämlich seemannsgarn zu spinnen, wurde uns damals bedauerlicherweise nicht beigebracht, da bin ich autodidaktin.
Au-lait - 7. Jun, 22:06

Ich vermag ja die sonstigen handarbeitlichen Fähigkeiten nicht zu beurteilen, aber die autodidaktischen Anstrengungen haben allem Anschein nach ausnehmend gut gefruchtet. Seemannsgarn ist auch das einzige, was ich mir selbst beigebracht habe, alles Andere kann ich nimmer und meine Erfahrungen mit Häkeln und Webrahmen sind eine Geschichte, die ich beizeiten vielleicht mal aus dem Hirnarchiv zupfen und neu zusammenstricken sollte, sie lohnt, glaube ich.
walhalladada - 7. Jun, 23:57

@Frau MCH//@Herrn Au-Lait

Ich sehe Sie beide schon mit Endlosseemannsgarn den Parzen trotzen ;>)
MoniqueChantalHuber - 8. Jun, 03:47

also ole, erst schreibst du mal eine kuhgeschichte, bitteschön.

bester wallhalladada, da ich nur über rudimentäre kenntnisse in emoticonsprech verfüge (die ich nie, nie, nie anwende), versteh ich sie - glaub ich - nicht ganz...
Au-lait - 7. Jun, 14:37

Kristallklar, mit Worten, die am Gaumen perlen, halb in die Nase sprudeln, ehe sie sich ihres Irrtums besinnen und direkt ins Hirn zischen. Mein inneres Kind ist bislang nur ge- und nicht erwachsen. :)

MoniqueChantalHuber - 8. Jun, 07:53

ich schreibe, wie wenn man sich an mineralwasser verschluckt? hehe.
Au-lait - 8. Jun, 11:31

Ich hatte eher an Prosecco oder Champagner gedacht. ;)
schneck06 - 8. Jun, 00:48

liebe huber, das kommentieren bleibt mir bürgerlichem hier in der armbeuge hängen. wollte kritzeln "meine jugend war auch scheisse!", aber dafür scheint mir obiges tailliert zu eisig. wo ich mich doch gerade auch auf eisigem eis befinde. auf die waffel kommt es (nämlich) an, und die waerme.

MoniqueChantalHuber - 8. Jun, 03:37

lieber schneck, dass sie aber auch so kryptisch formulieren müssen. da fang ich doch glatt an nachzudenken.

so denkfalten schicken sich überhaupt gar nicht auf meiner jugendlichen stirn!

aber waffeln sind wichtig, da haben sie natürlich recht. die knusprigkeit der hülle ist der grund, warum ich tüteneis der firma eskimo/langnese schöller/mövenpick unbedingt vorziehe.
schneck06 - 8. Jun, 22:48

denkfalten sind ehrenfalten und ich hab früher immer nogger. magnum ist einfach abklatsch.
MoniqueChantalHuber - 9. Jun, 07:08

da bin ich ganz ihrer geschmacksrichtung.
magnum ist ein unausgewogenes verhältnis von chemievanille zu kuvertüre ohne knusperperlen.
KleinesF - 19. Jun, 12:02

Schneck spielt doch nur.

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Ich finde die beamtenhaft anmutende Pause in diesem...
bob (Gast) - 23. Dez, 10:14
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p. (Gast) - 6. Aug, 03:56
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MoniqueChantalHuber - 3. Aug, 16:08
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Klammern anstatt Rettungsschirm, sehr clever.
mq (Gast) - 2. Aug, 09:08
eine fabelnhafte idee.
eine fabelnhafte idee.
MoniqueChantalHuber - 1. Aug, 22:30
Ich überlege gerade,
ob es nett wäre, wenn sich könig egon ladislaus froschojewsky...
schreiben wie atmen - 1. Aug, 22:18

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