Montag, 4. Juni 2007

supermarktimpressionen I

supermarkt

Schon damals als Ferialpraktikantin bei der Post, brachte ich nebenbei eine ganze Menge über die Menschen im Ort in Erfahrung. Ich wusste wer wo auf Urlaub war, welcher Partei jemand angehörte und welchen Vereinen, dass die Frau Meyer ihren Kummer über die Scheidung mit exzessiven Versandhauseinkäufen zu lindern trachtete, dass der Herr Meyer dagegegen neuerdings bei der Frau Bauer lebte, ich wusste sogar wer Schwierigkeiten mit der Finanz und wer mit der Justiz hatte. Ich wahrte stets das Briefgeheimnis, all diese Informationen bezog ich allein aus den Absendern und Adressaten der Postsendungen, die ich täglich in die Briefschlitze warf. Ihr Briefträger weiß mehr über sie, als ihnen vielleicht lieb ist...

Statt Während meiner Studienzeit arbeitete ich dann zwei Jahre in einem Supermarkt. Eine herkömmliche Kassiererin dringt, ohne dass sie es bemerken, oft in noch viel privatere Bereiche ein, als der Postmann.

Ich wusste wessen Bank bald Probleme macht, weil das Limit des Überziehungsrahmens bereits Mitte des Monats ausgeschöpft war. Ich sah, wer seinen Gästen bloß imponieren wollte, da die Einkäufe wochentags von minderer Qualität waren und Samstags plötzlich der große Feinschmecker hervorgekehrt wurde, der den Prosciutto allerdings im Sektregal sucht. Ich wusste um ihren Familienstand und ihre Gepflogenheiten, welche Zeitungen sie lasen, welches Brot sie aßen. Dies Wissen erhielt ich ganz ohne mein Zutun. Auf meinem Förderband trat ihr Innerstes zutage. Ich wusste sogar über so intime Details bescheid, wie die Hygienartikelvorlieben der Kundinnen .

Ich erkannte die Frisch-oder-gratis-Touristen, also solche Kunden, die gezielt nach verdorbener Ware suchten, um in den Genuss der „Finden sie ein abgelaufenes Produkt, erhalten sie ein gleichwertiges Produkt umsonst“- Garantie zu kommen, bereits auf Anhieb, ihr zielsicherer Scannerblick verriet sie, manchmal fand ich sogar die Verstecke, wo sie Waren, die kurz vor Ablauf des Haltbarkeitsdatums standen, für ihren nächsten Besuch bunkerten, oder ertappte sie dabei, ihr Obst aus Kostengründen falsch abzuwiegen.
(Die alternativen Biotante, die Art Frau, die benutzte Teebeutel in Altpapier, Metall und Biomüll trennt, zählte übrigens neben den bereits genannten, zur ungenaueste Kundenkategorie, was die Deklaration der zu erwerbenden Rohkost betraf. Sie war fast immer in Begleitung eines unartigen, hysterischen Hundes, der angeleint im Eingangsbereich Radau schlug oder kleine Kinder anknurrte. Lästig war an diesem Typus Kundin hauptsächlich, dass sie einen ungemeinen Missionierungseifer an den Tag legte, während sie ihre politisch korrekten, aber falsch abgewogenen Einkäufe ausbreitete, mir Vorträge über gückliche Hühner hielt und den Weltfrieden, beides ansich hehre Ziele, aber am Samstag Nachmittag, bei Vollbetrieb, nichts worüber sich eine Supermarktkassiererin unterhalten will, schon gar nicht wenn bereits drei Kunden weiter eine andere Ökofrau keiffte: „Fräulein, machen sie jetzt endlich eine zweite Kasse auf?!!“ (Yoga und Autogenes Training beherrschten sie, Alltagsgeduld leider selten), während der "Ach, der will nur spielen"Laissez-faire-Hund draussen jaulte, bellte und alte Frauen ansprang. Ein an Tofufrau zwei gerichtetes: „Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man drei Minuten Wartezeit an der Kasse ohne Folgeschäden überlebt. Wissen sie, ich steh am Tag zehn Stunden durchgehend hier.“ lies glücklicherweise meist gleich sämtliche Kunden in der Schlange verstummen, manchmal gab es dann sogar Trinkgeld.)

Wenn sich junge Mädchen, alterslos geschminkt, an meiner Kasse anstellten, dann war mir klar, sie wollten Alkohol kaufen, den sie von Gesetzes wegen noch gar nicht trinken durften. Bei der alten, griesgrämig blickenden Kollegin am anderen laufenden Band hätten sie den auch mühelos erhalten, dass ich in der Hinsicht ziemlich uncool bin, hätten sie mir nicht zugetraut.

Die unterschiedlichsten Ausprägungen von Alkoholmissbrauch blieben mir überhaupt am eindringlichsten in Erinnerung. Bei Männern trat der Alkoholismus deutlicher in Erscheinung. Die Gelegenheitstrinker sah man öfter verkatert und lallend, samstags meist, als die wirklichen Säufer, die täglich Unmengen Bier in der Blechbüchse oder Wein im Doppelliter kauften. Manche von ihnen waren durchaus noch adrett und gepflegt, der Großteil jedoch auch äußerlich am sozialen Abstieg. Die für mich tragischsten Fälle waren solche, die mir leere Jägermeisterfläschchen hinlegten, die sie bereits am Kassenregal, ursprünglich gedacht als letzte Gelegenheit für konsumsüchtige kleine Kinder, ihre Mütter in den Wahnsinn zu treiben, geleert hatten, um den Pegel zu halten, oder wenn junge Männer vor der Entscheidung standen, ihr letztes Münzgeld wahlweise in eine Dose Bier oder eine Dose Hundefutter für den geliebten Kampfhund zu investieren. Manchmal hab ich das Futter aus eigener Tasche bezahlt, wenn mal wieder zum Bier gegriffen wurde.

Bei den Frauen allerdings verlief der Missbrauch versteckter, sie kamen nie besoffen einkaufen, abgesehen von den Prostituerten oder Junkies, die waren fast immer voll bis obenhin, mehr noch als ihre männlichen Begleiter. Die älteren Damen, Doktorsgattinnen, Unternehmerswitwen im Pelzmantel, trugen Sonnenbrillen, wenn sie am Vorabend die Einsamkeit befallen hatte und lutschten Pfefferminzbonbons gegen den schlechten Atem, wenn sie ein neues Fläschchen Frauentrost erwarben. Frau von Welt betrank sich mit Sherry oder Cognac, gerne auch teurem Rotwein und Sekt. Die gewöhnliche Alkoholikerin dagegen linderte ihren Kummer mit billigem Wein, verteilte die Alkoholeinkäufe über den gesamten Tag und legte nebenher allerlei Alibis in den Warenkorb, um von der oft recht beachtlichen Menge Rebensaftes abzulenken. Bier wurde selten gekauft, wenn, dann eher für den Gatten, auch Schnaps war den Männern vorbehalten.

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chronovisor - 4. Jun, 02:56

chronovisor.kommentar.1

Hallo!

Beim Durchlesen solcher Geschichten neige ich tendenziell zu einer leichten Form von Misanthropie, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich selbst sehr oft mit diesen Themen konfrontiert war. Drum mehm' ich mir jedesmal vor, wenn ich an einer Kassa steh', dass ich NIE so werd' wie DIE DA!!!

Gute Geschichte, I appreciate that; ich freu' mich, wenn's mehr davon gibt.

cheers,

|cv|

MoniqueChantalHuber - 4. Jun, 03:04

schrieb ja auch eine misanthropische philanthropin

privataudienz

Du bist nicht angemeldet.

der pöbel unter sich

Ich finde die beamtenhaft...
Ich finde die beamtenhaft anmutende Pause in diesem...
bob (Gast) - 23. Dez, 10:14
Das ist doch unglaublich....
Das ist doch unglaublich. Glaub ich.
textorama (Gast) - 22. Sep, 17:11
Wohl eher ein naturhysterisches...
Wohl eher ein naturhysterisches Diorama. Die beiden...
textorama (Gast) - 22. Sep, 17:10
gemüsehunger, immer zur...
gemüsehunger, immer zur unzeit... längst licht aus...
p. (Gast) - 9. Aug, 04:03
gemüsefach hatte an dem...
gemüsefach hatte an dem tag bereits geschlossen.
MoniqueChantalHuber - 6. Aug, 07:58
auf n sprung ins gemüse?
auf n sprung ins gemüse?
p. (Gast) - 6. Aug, 03:56
klammern halten die großen...
klammern halten die großen scheine einfach besser zusammen.
MoniqueChantalHuber - 3. Aug, 16:08
Klammern anstatt Rettungsschirm,...
Klammern anstatt Rettungsschirm, sehr clever.
mq (Gast) - 2. Aug, 09:08
eine fabelnhafte idee.
eine fabelnhafte idee.
MoniqueChantalHuber - 1. Aug, 22:30
Ich überlege gerade,
ob es nett wäre, wenn sich könig egon ladislaus froschojewsky...
schreiben wie atmen - 1. Aug, 22:18

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

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