intersex
ein gedankenexperiment zur einstimmung: man stelle sich vor in einer einträchtig beim fernsehsport beisammen sitzenden männerrunde ganz beiläufig das wort "KASTRATION" fallen zu lassen. es existiert wohl kaum ein andere vokabel von derartiger psychosomatischer durschlagkraft. selbst dem gestandenen mannsbild wird davon zumindest ein bisschen blass um die nase.
versuchen sie nun umgekehrt an einem beliebten frauentreffpunkt, tupperwareparty z.b., vermittels eines einzigen wortes negative assoziationen und gequältes zusammenzucken auszulösen. der terminus der wahl: "HYSTEREKTOMIE". sie werden unverständige blicke ernten, doch ansonsten keine weitere reaktion. sofern sie einer akademischen tupper-runde beiwohnen, können sie noch einen weiteren versuch unternehmen, weibliche reflexe zu testen. der begriff "GENITALVERSTÜMMELUNG" sollte wenigstens bei einem viertel der anwesenden eine deutliche äußerung des körperlichen unbehagens bewirken.
die hünenhafte frau mit dem gesicht eines jungen tunichtgut war mitten ins gespräch vertieft, als ich eintrat, und so lautete das erste wort, das ich aus ihrem munde vernahm: "umschnalldildo". ein reichlich kurioses szenario für ein in homoerotischen belangen völlig unbescholtenes landmädel wie mich. doch weil ich kuriositäten mag, mochte ich auch alex.
schülerinnen der sappho waren mir zuvor nur wenige begegnet.
(an meiner schule gab es eine einzige bekennende lesbe, immerhin eine mehr, als es bekennende schwule gab. die adoleszenz war zwar auch bei mir begleitet von knutschereien mit anderen jungen frauen, meinerseits eine reine notlösung, da ich ansonsten noch länger ungeküsst geblieben wäre, andererseits handelte es sich schlichtweg um gruppenzwang und vermeintliche hippness - mädchen küssten andere mädchen übrigens nur vor testosteronumnachtetem publikum.) alex war herrlich anders. kein small-talk über gesichtswässerchen und männer, keine tritratrallala-weiberpseudothemen.
aus der maskuline lesbe und der burschikosen hete, die an ihrer existenzberechtigung zweifelte (- mein damaliger freund hatte mich verlassen, weil ich im praxistest seinen vorstellungen von weiblichkeit doch nicht entsprach. eine frau hat lange haare zu haben und sich aufreizend zu kleiden. diese reduktion auf antrainierte primärreize, lässt mir zwar auch heute noch hin und wieder die galle aufsteigen, doch ignoriere ich mittlerweile frohgemut alle ratschlagenden, die danach trachten, meine - nach frauenzeitschriftenstandards bemessen - mangelnde weiblichkeit zu sanieren) wurden freunde.
alex berichtete aus ihrem leben. sie tat das mit einer bildhaften, gewalttätigen sprache, die mir bisweilen den atem raubte, gleichzeitig war sie sanft, empfindsam und unglaublich witzig. nein, verliebt habe ich mich nie in sie, aber sie wurde zu einem der wenigen menschen, die ich wirklich schätze.
schließlich kam der tag, an dem sie mir die wahrheit erzählte.
alex, die meiner kleinen hetero-welt - meiner zerissenheit zwischen biologie und selbstbestimmung - ein paar neue sichtweisen eröffnete, diese alex stand weitaus mehr zwischen den geschlechtern, als ich es jemals tat.
alex ist intersexuell - hermaphrodit - zwitter - für alle die`s gern ein bisschen drastisch haben. the voyeur in me is the voyeur in you.
eine laune der natur, eines von den kindern, die man sonst nur aus formalingefüllten einmachgläsern kennt, worin sie in der präparatenkammer für abnormitäten lagern. ein fleischgewordenes lehrbeispiel, ein genitales kalb mit drei köpfen, dem ärzteschaft und pflegepersonal zwischen die beine glotzt. ein mensch, der nicht in eine gesellschaft passt, die schon schwierigkeiten damit hat leute zu akzeptieren, die ihre sexualpartner nicht nach reproduktionsorientierten maßstäben wählen.
in zahlreichen lehrbüchern, gespickt mit dramatischen bildern (eine vielzahl davon bezeichnenderweise aus einer zeit, als man normabweichungen etwa am spiegelgrund endlagerte) findet sich, im zusammenhang mit intersexualität, auch heute noch oft der zusatz "schwachsinnig", "von geringer intelligenzleistung". nicht brauchbar zur vermehrung der rrrasse eben.
gerne werden die begriffe intersexualität und transgender verwechselt. alex aber hat sich nie im falschen körper gefühlt, man hat ihm den falschen körper gebaut. den jungen, der den tabellen und messwerten zufolge kein richtiger ist, kastriert und ihn zum mädchen gemacht, das nie eine frau sein wird. mechanisch voll funktionsfähig - für uneingeschränktes penetrationsvergnügen etwaiger partner.
"ja, was sollen wir denn machen?" fragen sich die eltern und wollen das beste für ihr kind. "ja, da muss man doch was machen!" sagt sich der halbgott in weiß und kriegt schöpfungs- und erlöserphantasien. "ja, da kann man halt nichts machen" sagt die gesellschaft, "solche kinder werden eben nicht akzeptiert, wenn sie bleiben wie sie sind." dabei hat die mehrheit einfach glück gehabt. eine so komplexe angelegenheit wie die entwicklung eines vollständigen körpers aus mutters follikel und ein bisschen väterlichen schleims ist eine ganz wundersame, doch fehleranfällige, begebenheit. der menschenwurm im intrauterinen schwimmbecken ist anfänglich beides - yin und yang. erst durch die einwirkung von geschlechtshormonen wird`s ein bub oder ein mäderl oder ein nichtganzbubnichtganzmäderl, ein nichtganzmäderlnichtganzbub, ein mehrbubalsmäderl, ein mehrmäderlalsbub oder ein bubmäderl/mäderlbub.
heute, wo er selbst entscheiden darf, lebt alex - als alex jürgen - das leben eines mannes. soweit ihm das möglich ist. denn letztlich wird er immer zwischen den klassischen, den biblisch fortpflanzungsorientierten, geschlechtern stehen.
manchmal befallen mich skrupel, ihn als den intersexuellen freund vorzuführen, weil ihn doch mehr ausmacht, als die tatsache, dass die embryonale entwicklung nicht den standardweg nahm. aber ich empfinde ganz aufrichtige bewunderung dafür, wie alex jürgen zu seiner geschichte steht, in einer rollen- und geschlechterklischeebesetzten welt, die mich manchmal straucheln lässt.
empfehlung
auch wenn ich der regisseurin elisabeth scharang bis heute vorwerfe, sie hätte mehr aus dem thema machen können, anstatt sich selbst in bester "die schöne und das biest" - manier ins günstige licht zu rücken.
sonntag, 7.10., 23 uhr, orf2:
tintenfischalarm, eine dokumentation über die identitätsfindung von alex jürgen.
versuchen sie nun umgekehrt an einem beliebten frauentreffpunkt, tupperwareparty z.b., vermittels eines einzigen wortes negative assoziationen und gequältes zusammenzucken auszulösen. der terminus der wahl: "HYSTEREKTOMIE". sie werden unverständige blicke ernten, doch ansonsten keine weitere reaktion. sofern sie einer akademischen tupper-runde beiwohnen, können sie noch einen weiteren versuch unternehmen, weibliche reflexe zu testen. der begriff "GENITALVERSTÜMMELUNG" sollte wenigstens bei einem viertel der anwesenden eine deutliche äußerung des körperlichen unbehagens bewirken.
die hünenhafte frau mit dem gesicht eines jungen tunichtgut war mitten ins gespräch vertieft, als ich eintrat, und so lautete das erste wort, das ich aus ihrem munde vernahm: "umschnalldildo". ein reichlich kurioses szenario für ein in homoerotischen belangen völlig unbescholtenes landmädel wie mich. doch weil ich kuriositäten mag, mochte ich auch alex.
schülerinnen der sappho waren mir zuvor nur wenige begegnet.
(an meiner schule gab es eine einzige bekennende lesbe, immerhin eine mehr, als es bekennende schwule gab. die adoleszenz war zwar auch bei mir begleitet von knutschereien mit anderen jungen frauen, meinerseits eine reine notlösung, da ich ansonsten noch länger ungeküsst geblieben wäre, andererseits handelte es sich schlichtweg um gruppenzwang und vermeintliche hippness - mädchen küssten andere mädchen übrigens nur vor testosteronumnachtetem publikum.) alex war herrlich anders. kein small-talk über gesichtswässerchen und männer, keine tritratrallala-weiberpseudothemen.
aus der maskuline lesbe und der burschikosen hete, die an ihrer existenzberechtigung zweifelte (- mein damaliger freund hatte mich verlassen, weil ich im praxistest seinen vorstellungen von weiblichkeit doch nicht entsprach. eine frau hat lange haare zu haben und sich aufreizend zu kleiden. diese reduktion auf antrainierte primärreize, lässt mir zwar auch heute noch hin und wieder die galle aufsteigen, doch ignoriere ich mittlerweile frohgemut alle ratschlagenden, die danach trachten, meine - nach frauenzeitschriftenstandards bemessen - mangelnde weiblichkeit zu sanieren) wurden freunde.
alex berichtete aus ihrem leben. sie tat das mit einer bildhaften, gewalttätigen sprache, die mir bisweilen den atem raubte, gleichzeitig war sie sanft, empfindsam und unglaublich witzig. nein, verliebt habe ich mich nie in sie, aber sie wurde zu einem der wenigen menschen, die ich wirklich schätze.
schließlich kam der tag, an dem sie mir die wahrheit erzählte.
alex, die meiner kleinen hetero-welt - meiner zerissenheit zwischen biologie und selbstbestimmung - ein paar neue sichtweisen eröffnete, diese alex stand weitaus mehr zwischen den geschlechtern, als ich es jemals tat.
alex ist intersexuell - hermaphrodit - zwitter - für alle die`s gern ein bisschen drastisch haben. the voyeur in me is the voyeur in you.
eine laune der natur, eines von den kindern, die man sonst nur aus formalingefüllten einmachgläsern kennt, worin sie in der präparatenkammer für abnormitäten lagern. ein fleischgewordenes lehrbeispiel, ein genitales kalb mit drei köpfen, dem ärzteschaft und pflegepersonal zwischen die beine glotzt. ein mensch, der nicht in eine gesellschaft passt, die schon schwierigkeiten damit hat leute zu akzeptieren, die ihre sexualpartner nicht nach reproduktionsorientierten maßstäben wählen.
in zahlreichen lehrbüchern, gespickt mit dramatischen bildern (eine vielzahl davon bezeichnenderweise aus einer zeit, als man normabweichungen etwa am spiegelgrund endlagerte) findet sich, im zusammenhang mit intersexualität, auch heute noch oft der zusatz "schwachsinnig", "von geringer intelligenzleistung". nicht brauchbar zur vermehrung der rrrasse eben.
gerne werden die begriffe intersexualität und transgender verwechselt. alex aber hat sich nie im falschen körper gefühlt, man hat ihm den falschen körper gebaut. den jungen, der den tabellen und messwerten zufolge kein richtiger ist, kastriert und ihn zum mädchen gemacht, das nie eine frau sein wird. mechanisch voll funktionsfähig - für uneingeschränktes penetrationsvergnügen etwaiger partner.
"ja, was sollen wir denn machen?" fragen sich die eltern und wollen das beste für ihr kind. "ja, da muss man doch was machen!" sagt sich der halbgott in weiß und kriegt schöpfungs- und erlöserphantasien. "ja, da kann man halt nichts machen" sagt die gesellschaft, "solche kinder werden eben nicht akzeptiert, wenn sie bleiben wie sie sind." dabei hat die mehrheit einfach glück gehabt. eine so komplexe angelegenheit wie die entwicklung eines vollständigen körpers aus mutters follikel und ein bisschen väterlichen schleims ist eine ganz wundersame, doch fehleranfällige, begebenheit. der menschenwurm im intrauterinen schwimmbecken ist anfänglich beides - yin und yang. erst durch die einwirkung von geschlechtshormonen wird`s ein bub oder ein mäderl oder ein nichtganzbubnichtganzmäderl, ein nichtganzmäderlnichtganzbub, ein mehrbubalsmäderl, ein mehrmäderlalsbub oder ein bubmäderl/mäderlbub.
heute, wo er selbst entscheiden darf, lebt alex - als alex jürgen - das leben eines mannes. soweit ihm das möglich ist. denn letztlich wird er immer zwischen den klassischen, den biblisch fortpflanzungsorientierten, geschlechtern stehen.
manchmal befallen mich skrupel, ihn als den intersexuellen freund vorzuführen, weil ihn doch mehr ausmacht, als die tatsache, dass die embryonale entwicklung nicht den standardweg nahm. aber ich empfinde ganz aufrichtige bewunderung dafür, wie alex jürgen zu seiner geschichte steht, in einer rollen- und geschlechterklischeebesetzten welt, die mich manchmal straucheln lässt.
empfehlung
auch wenn ich der regisseurin elisabeth scharang bis heute vorwerfe, sie hätte mehr aus dem thema machen können, anstatt sich selbst in bester "die schöne und das biest" - manier ins günstige licht zu rücken.
sonntag, 7.10., 23 uhr, orf2:
tintenfischalarm, eine dokumentation über die identitätsfindung von alex jürgen.
MoniqueChantalHuber - 30. Sep, 07:50