Samstag, 23. Juni 2012

entscheiden tut weh

soll man einen dementen 87jährigen, der nach einem schlaganfall vor drei wochen nun halbseitig gelähmt wieder daheim in seinem bett liegt, erneut ins krankenhaus einweisen lassen - weil der verdacht auf einen weiteren schlaganfall besteht - oder soll man ihm die chance lassen, nicht in irgendeinem krankenwagen oder am gangbett, sondern daheim zu sterben, wo ihm seine ebenfalls gelähmte frau von dem krankenbett neben seinem aus die hand hält und weint: "frau mch. ich kann nicht mehr. lassen sie mir meinen schatz.ich hoffe, wir haben das glück, gemeinsam zu sterben."

was also tun, wenn man nicht wirklich sicher ist, ob er beim mittagseinsatz überhaupt noch lebt?

rechtlich absichern zuallererst. als pflegeperson, als sanitäter, als arzt. und wenn dann allle anrufe getätigt, die hierarchie der rettungskette aufsteigend durchlaufen wurde und jeder die verantwortlichkeit ein stück weiter gereicht hat und wenn dann alle vitalzeichen gemessen, alle formulare und pflegeberichte unterschrieben sind, dann bleibt vielleicht auch die zeit, sich zu fragen, was denn der mensch möchte, der da vor einem liegt.

und dann kommen einem die tricks in den sinn. vielleicht nicht genau in dem moment, weil man sich natürlich selbst davor scheut, es in worte zu fassen, was denn sein könnte. heute. morgen.
und vielleicht scheut man sich auch davor, weil man dann den menschen doch irgendwie aufgeben würde, wenn er noch lebt und man bereits seinen tod plant, statt sich aufs leben zu konzentrieren.

aber wenn man die nummer wählt, die man in seiner not ruft, dann hofft man letztlich immer noch, dass die kommen und alles wieder ganz machen - ausser, man muss zu den tricks greifen: was ich sagen müsste, wenn er nun doch zuhaus verstirbt. weil ich ja einen arzt brauch, der den tod feststellt und den arzt krieg ich über die rettung, die aber keine toten transportieren darf und deshalb auch nicht kommt, wenn ich sage, dass der klient nicht mehr lebt - was ich ja im grunde nicht sagen kann, weil ich ja kein arzt bin und somit niemandem den tod attestieren darf.

und ich kann der alten dame nicht sagen kann "alles wird gut" , weil das ein hanebüchener unsinn wäre, das weiß sie, der die lähmung den körper hochkriecht, bis ihr irgendwann die atmung versagt, wahrscheinlich noch besser als ich. oder soll ich sagen "alles wird gut"? weil man das so sagt. und weil sie es vielleicht glauben will. zumindest in diesem augenblick.

neuerdings hat sie kaum noch kraft in den händen, die nachts suchend nach seinen tasten. die hände wird sie als nächstes verlieren. wenn sie nicht ihn zuerst verliert. dann aber hat sie ihren sinn verloren.

und einerseits hält sie der wunsch aufrecht, ihn nicht loszulassen, die hoffnung, dass das krankenhaus ihn wieder heil macht und anderseits will sie, wollte er, dass sie beide den unausweichlichsten aller moment daheim verleben. gemeinsam.

was aber, wenn es linderung und besserung für ihn gäbe und man ihm dies verwehrt, nur damit er daheim sterben kann? früher allerdings, als er gemusst hätte, wenn man nur eingegriffen hätte.

das leben hat für heute gewonnen. aber es war nicht die freude darüber, die seiner frau abends rosige wangen zauberte, sondern das fieber und der husten.

soll man eine 81 jährige frau, die unter amyotropher lateralsklerose leidet ins krankenhaus einliefern lassen, weil es sich bei ihrem husten und dem immer wieder kehrenden fieber um eine atypische pneumonie handeln könnte - oder soll sie daheim sterben können, wo ihr der ebenfalls gelähmte mann von dem krankenbett neben ihrem aus die hand hält.

was aber, wenn es linderung und besserung für sie gäbe und man ihr dies verwehrt, nur damit sie daheim sterben kann? früher allerdings, als sie gemusst hätte, wenn man nur eingegriffen hätte.

und irgendwo da am rande stehe ich und reiche entscheidungen weiter.

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testsiegerin - 25. Jun, 10:31

und weil alle sich (durchaus verständlich) so scheuen vor entscheidungen über das leben eines anderen, rufen sie dann den sachwalter an, der dann entscheiden sollen, ob ein peg-sonde gesetzt wird oder nicht. und weil auch der sachwalter das nicht entscheiden kann/will, beruft der sich wieder auf die ärzte, das pflegepersonal, das gericht...

ich hab keine lösung. nur immer wieder hinschauen, und hinspüren und immer wieder die frage: wenn der mensch vor uns alle argumente, alle für und wider hören und verstehen könnte, wie würde er sich selbst entscheiden?

MoniqueChantalHuber - 20. Jul, 21:00

eine späte antwort auf etwas, wofür ich auch keine antwort habe. aber um es mit alf poier zu sagen: weil der mensch zählt.

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eine fabelnhafte idee.
eine fabelnhafte idee.
MoniqueChantalHuber - 1. Aug, 22:30
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schreiben wie atmen - 1. Aug, 22:18

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