Freitag, 25. Mai 2007

die metamorphose des erwin

Erwin war ein Landei. Gezeugt und gelegt am Kohlblatt. Seine Mutter hatte ihn und die zweitausend Geschwister sich selbst überlassen, Wochenbeetdepression, der flatterhafte Vater war zur nächsten Blüte weitergeflogen (sie wissen schon, das alte Lied von Bienen und Blumen...) Es oblag nun Mutter Natur, Erwin auszubrüten.

Kaum geschlüpft, hatte er auch schon das Nachsehen.
Erwin war selbst nach Kriechtiermaßstäben nicht besonders schön, ein bisschen zu mager für sein Alter, die Kauwerkzeuge schief gewachsen.
Ewin war anders als alle anderen. Er interessierte sich für Literatur und Religion, wollte später mal Kohlrabbi werden, dabei hatte es noch niemand aus dieser Gegend zu etwas gebracht (Nur der Helmut, von dem hieß es, er sei in die Politik gegangen). Erwin nannte ihn keiner, mehr als ein verächtliches „Made“ hatte niemand für ihn übrig. Im Kindergarten hänselten ihn die Jungen, die Mädchen hielten sich von ihm fern und fraßen lieber liebliche Muster in ihr Pausenblatt.

Erwin allerdings blieb frohen Mutes. „Eines Tages werde ich berühmt und wenn nicht hier, dann halt in China“, dessen war er sich so sicher, wie Kohl Blähungen verursacht (die anderen machten sich einen Jux daraus, ihre Abgase anzuzünden, nur Erwin fand das widerlich. Nebenbei erwähnt, auch die Glühwürmchen, die Nachts durch den Garten schwirrten, bedienten sich dieser Technik, doch der Mensch in seinem Drang nach romantischer Verklärung will das einfach nicht wahrhaben). Seine Geschwister entlarvten sich als madige Miesmacher „Haha, ausgerechnet du. Du bist doch zu blöd, geradeaus zu kriechen.“

Am Tag nach dem das mittlere Reifestadium abgeschlossen war, entschied Erwin, den ignoranten Fraßspurproleten ein für allemal adieu zu sagen. Er packte seine Sachen, sämtliche Alben von Madonna sowie ein Stückchen Kohl als Wegzehrung, verabschiedete sich von seinen einzigen fünfhundertdreiundzwanzig Freunden, den Blattläusen und kroch alsdann in Richtung Unbekannt.

Eine glückliche Fügung des Schicksals wollte es, dass Erwins Heimatgarten nur unweit eines Autobahnrastplatzes lag. Dort parkten unzählige Lkw. Ohne nachzudenken kletterte der kleine Erwin durch ein offenes Fenster in eines der großen Fahrzeuge und verkroch sich im überquellenden Handschuhfach, aus dem des so verlockend verdorben duftete. Seine Kieferzangen schlotterten vor Aufregung, als sich das Vehikel mit einem mords Gebrumme plötzlich in Bewegung setzte.

Für die nächsten sechs Tage saß er nun fest. Seine verspätet einsetzende Pubertät verbrachte er auf den abgegriffenen Männermagazinen, die er in seiner neuen Unterkunft zuhauf vorfand, die restlichen vier Tage saß er auf einem alten Wurstbrot. Er hörte viel Musik. Marianne Rosenberg war seine erste große, unglückliche Liebe. Roger Whittaker mochter er auch sehr gern. Oder Johnny Hill mit „Ruf Teddybär eins vier“, da musste er jedesmal heulen, so nah ging ihm der Text. Nachts, wenn sein Reisegefährte vier oder fünf Stunden schlief, dann kroch Erwin aus seinem Unterschlupf und erkundete die Fahrerkabine. Einmal plumpste er dabei aus Versehen in eine angebrochene Dose Bier, am nächsten Morgen wusste er nicht mehr, wie er zurück auf sein vergammeltes Brot gekommen war und hatte schreckliche Kopfschmerzen.

Am siebten Tage aber hielt der Lastwagen mit einem Ruck, der Fahrer stieg aus und kam nicht wieder. Erwin, der sich nach all der alten Wurst nach einem ordentlichen Kohlblatt sehnte, entschied, es sei nun an der Zeit sich zu neuen Abenteuern aufzumachen. Er schnürte sein Bündel und verließ den LKW. Die Stimme von Andrea würde er vermissen. „Sie gehört zu mir, wie mein Name an der Tür...“ summte er und war dabei ein bisschen traurig.

Doch Erwin hatte keine Zeit für Wehmut. Denn kaum hatte er seinen Bauch auf den Boden gesetzt, als ihn schon fast ein klappriger Drahtesel zerquetscht hätte. Geistesgegenwärtig warf sich Erwin beiseite, doch nun drohten blanke Füße ihn zu zerstampfen. Erwin fand sich urplötzlich in einem lärmenden Wirrwarr von Reifen, Füßen, Hufen, Pfoten, Krallen wieder. Er kroch verzweifelt um sein Leben. Mit allerletzter Kraft schaffte er es, sich bis zum Straßenrand zu winden, sich an trampelnden, zermatschenden, todbringenden Fortbewegungswerkzeugen vorbeizuschlängeln.

Seine Tracheen schmerzten, er hustete blutigen Schleim, als er endlich am sicheren Gemäuer lehnte. War das Schicksal bislang gut zu ihm gewesen, so schien er nun in Ungnade gefallen zu sein, denn bevor Erwin wieder zu Atem kommen konnte, fiel neben ihm ein fünfzig Kilo Sack Reis um. Einfach so. Der Sack donnerte zu Boden und drohte Erwin unter sich zu begraben, doch ehe Erwin begriff wie ihm geschah, zog eine rettende Raupe ihn aus der Gefahrenzone.

Mademoiselle, darf ich mich an ihrer Hand anhalten?“ stöhnte Erwin, denn um ihn herum drehte sich alles. „Ja“ hauchte ein bezauberndes Stimmchen, dass zu einer üppigen Larve gehörte, die ihm mit glänzenden Facettenaugen zuzwinkerte. XuXu, so hieß die Dame, erzählte später, sie wäre niemals zuvor einem so mickrigen Wurm begegnet. Erwin bemerkte zuallererst ihren behaarten Leib. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Als Erwin bereits zur Familie Mao Tsei Tung gehörte und sich in China eingelebt hatte, lachten beide über ihr Kennenlernen, hatte doch XuXu, die eine Privatschule besuchte und deshalb ein wenig Deutsch sprach, Erwin völlig missverstanden, aber wer weiß, wie es wie es andernfalls gekommen wäre.

Fakt ist, dass Erwin die wohlgenährteste Raupe der Stadt ehelichte. Zwar war deren Vater, ein angesehener Textilproduzent, strikt gegen die Hochzeit, er fiel allerdings tragischerweise kurz davor im heldenhaften Kampf gegen Insektenspray.

So erbte das verliebte Paar ein Zehntausendstel des Familienimperiums. Die übrigen Kinder lagen sich nach der Erbschaft arg in den Haaren, viele versoffen ihr Vermögen, andere wiederum hatten einfach Pech. Die einstmals blühende Dynastie ging kläglich unter.
Nur XuXu sponn, der Familientradition folgend, Seidengarn und Erwin war für den Vertrieb zuständig. Die hochqualitative Ware der beiden fand reißenden Absatz, rasch war XuXu so ausgelaugt, dass Erwin, um ihres Gesundheitszustandes willen, begann, Baumwolle zuzukaufen. Sie fertigten nun Hosen, Kleider, Bettwäsche und T-Shirts in allen erdenklichen Größen und beschäftigten schließlich eine Heerschar von Mitarbeitern.

Erwin zierte die Titelblätter sämtlicher Zeitungen, wurde zum Manager des Monats gekürt und trat dem städtischen Countryclub bei. Er und XuXu führten eine vorbildliche Ehe.
Am Zenit seines Erfolges angelangt, XuXu drängte darauf, ein verwaistes Käferkind zu adoptieren, entsann sich Erwin seiner eigenen Herkunft.

Er wollte all den Spöttern von damals zeigen, was aus ihm geworden war. Unglücklicherweise hatte Erwin sich die Adresse nicht gemerkt. Mittlerweile waren Erwin und XuXu mit ihrer Produktion so erfolgreich, dass sie die Produktpalette um Spielzeug, Elektrogeräte und Nahrungsmittel erweiterten. Eines Tages merkte eine der schmierigen Maden aus dem Marketing an, es sei höchste Zeit, endlich einen Markennamen zu kreieren, jetzt wo sogar nach Europa exportiert werden würde. Da hatte Erwin eine grandiose Idee: MADE IN CHINA lies er auf alle seine Waren drucken, in der Hoffnung die Botschaft würde eines Tages auch den Garten seiner Geburt erreichen.

Rückmeldung erhielt er nie, dennoch führte er mit seiner Frau ein zufriedenes Leben in Wohlstand und Anerkennung. Nur der erwünschte Kindersegen wollte sich nicht einstellen. Der eigens konsultierte Facharzt fand zwar heraus, dass Erwin gar keine Made, sondern ebenfalls eine Raupe war, doch fügte er hinzu, dass es unmöglich sei, zwei so unterschiedliche Gattungen zu verpaaren. Diese Offenbarung war ein schwerer Schlag für XuXu, sie zog sich immer mehr zurück, wurde wortkarg und abweisend, nach einer rauschenden Charitygala, bei der die Gattin des Kontrahenten dieselbe Seidenrobe getragen hatte, verfiel sie endgültig in Lethargie und Opiumsucht, verpuppte sich schließlich und Erwin flüchtete sich in die Arbeit und hatte, da er eine Vorliebe für reife Frauen entwickelte, zahlreiche Affären mit billigen Nachtfaltern. Dabei war er wohl unachtsam, denn es muss eine dieser Spelunken, in denen die Weibchen um rote Glühbirnen tanzen, gewesen sein, wo er sich die Krankheit zuzog. Insektenpest. Das Schmetterlingsalter erreichte er nicht mehr.

XuXu dagegen, die seine ausserehelichen Eskapaden verschlafen hatte, wurde ein ausgesprochen attraktiver Falter und führt den Betrieb mit ihrem zweiten Ehemann, einem etwas unscheinbaren, einheimischen Schmetterling, weiter. MADE IN CHINA heißt die Firma immer noch und manchmal denkt XuXU liebevoll an die schönen Stunden mit Erwin zurück.

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dieJulia - 25. Mai, 11:30

Einfach von vorn bis hinten großartig, die Geschichte.
Applaus!

nachtschwester - 30. Mai, 19:58

Beifall auch von mir, wunderschön!

MoniqueChantalHuber - 31. Mai, 01:26

besten dank die damen!

neo-bazi - 31. Mai, 20:13

Schappo!

privataudienz

Du bist nicht angemeldet.

der pöbel unter sich

Ich finde die beamtenhaft...
Ich finde die beamtenhaft anmutende Pause in diesem...
bob (Gast) - 23. Dez, 10:14
Das ist doch unglaublich....
Das ist doch unglaublich. Glaub ich.
textorama (Gast) - 22. Sep, 17:11
Wohl eher ein naturhysterisches...
Wohl eher ein naturhysterisches Diorama. Die beiden...
textorama (Gast) - 22. Sep, 17:10
gemüsehunger, immer zur...
gemüsehunger, immer zur unzeit... längst licht aus...
p. (Gast) - 9. Aug, 04:03
gemüsefach hatte an dem...
gemüsefach hatte an dem tag bereits geschlossen.
MoniqueChantalHuber - 6. Aug, 07:58
auf n sprung ins gemüse?
auf n sprung ins gemüse?
p. (Gast) - 6. Aug, 03:56
klammern halten die großen...
klammern halten die großen scheine einfach besser zusammen.
MoniqueChantalHuber - 3. Aug, 16:08
Klammern anstatt Rettungsschirm,...
Klammern anstatt Rettungsschirm, sehr clever.
mq (Gast) - 2. Aug, 09:08
eine fabelnhafte idee.
eine fabelnhafte idee.
MoniqueChantalHuber - 1. Aug, 22:30
Ich überlege gerade,
ob es nett wäre, wenn sich könig egon ladislaus froschojewsky...
schreiben wie atmen - 1. Aug, 22:18

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

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